Die neue Moralwelle stürzt über uns herein. Diesmal erscheint sie noch größer und heftiger zu sein als zu Corona-Zeiten, auch wenn man gerade jüngst einen neuen „Öffnungs“schritt genehmigt, der eigentlich gar keiner ist. Es ist eine Shitshow sondergleichen, die hier läuft, und das feiern sie auch noch als humane Gabe ab. Aber immer schön scheibchenweise vorgehen, man darf ja niemanden von den Angstgetriebenen verunsichern.
Man hat schon Ersatz gefunden, die eigene, neu entdeckte Blockwart- und Hetzmentalität aufrecht zu erhalten. Muss unheimlich geil gewesen sein, auf andere einzudreschen. Da Corona dazu nicht mehr taugt, geht man halt zu Klima, Krieg und Flüchtlingen über. Das Überraschungsei der Hetzerei, gleich drei Dinge auf einmal. Und sollten sich die Friedensmenschen tatsächlich Manifeste erdreisten und Frieden mal etwas ganzheitlicher sehen, wird gehetzt, dass sich die Balken biegen. Corona war wohl nur Warmlaufen im Hetzmarathon, den wir uns auch noch aufzwingen lassen müssen. Der Anlass ist austauschbar, aber das Gefühl bleibt.
Immer ist es interessant zu erfahren, wie sich selbsternannte Moralisten und „Sensible“ so derbe hochpushen. Man kann sie fast schon katalogisieren, und da sind Parteifarben mittlerweile nur noch der Kitt, der die ideologischen Mauern gerade noch zusammenhält. Es hetzen mittlerweile quer durch alle Altparteien bezüglich der oben erwähnten Themen Politiker und Mitglieder gegen Skeptiker aller Couleur. Und nun wird noch deutlicher, wie sehr Politik und Macht an „Narrativen“ hängt. Bisher hatte ich mich nicht um so etwas geschert, weil es bisher auch einfach gewesen war, sich via eigene Positionen automatisch in eine politische Ecke zu bewegen und darüber hinaus Schnittmengen mit einer Partei zu finden.
Heute kannst du das alles vergessen. Außer begeistert zu hetzen oder lieber die Schnauze zu halten dürfte man heute in keinem Belang mehr seine Meinung in aller Ruhe aussprechen, wenn es nicht ins „Narrativ“ passt. Dass „Narrativ“ „Erzählung“ bedeutet und mit Diskurs und Wahrheitsfindung nichts mehr zu tun hat, kann man wissen. Aber wird sich dies wohl als neue Denkstruktur etablieren. Was ich für mordsgefährlich finde, weil das immer(!) Kadavergehorsam bedingt, Die Sanktionen bei Nichteinhaltung haben sich nun mittlerweile so verschärft, dass man noch eine Art „Existenzvernichtung light“ betreibt – es fehlt eigentlich nur noch die unverhohlene Selbstlegitimation in der Anwendung solcher Mittel, was sich teils in den asozialen Medien ablesen lässt. Dazu müsste es nur noch in der Realität im Supermarkt oder sonstwo offen ausgetragen werden, dann wären auch die letzten Fassaden eingerissen, die man nicht mehr mit Orwell´schem Neusprech übertünchen müsste.
Auch ich halte mich noch sehr stark zurück, setze noch auf eine sprachliche Konsensebene und stecke sehr vorsichtig ab, ob ich da Gesprächspartner vor mir habe, mit denen man mal über mehr als nur das Wetter reden kann. Für mich als Smalltalk-Verächter eine ziemlich schwierige Sache, also suche ich momentan meine Selbstertüchtigung im absurden Humor, den Fokus auf das unbedenklich Wesentliche und warte mal ab, ob diese(r) Jemand selbst aus der Haut fährt. Man kann das durchaus als „anekdotische Evidenz“ verstehen, und dazu kann ich berichten, dass lange nicht alle so „Narrativ“-hörig sind als in der Medien- und Wichtigtuerblase auf Twitter.
Das ist das breite Band der Hoffnung, das mich diesen Blödsinn gut ertragen lässt – wenn du weißt, dass du da draußen nicht allein bist. Und da bin ich jetzt nicht so verdrießlich drauf, alle anzuklagen, die den Mund öffentlich nicht aufmachen. Klar, irgendwann ist auch mal gut, und irgendwann kippt das in Gefahr über, wenn es übergriffig wird und man zu viel durchgehen lässt. Wenn man nicht mehr in Ruhe gelassen wird, wenn deren Moral in extremistischen Missionierungseifer umschlägt. Das führt allzu häufig ins Desaster, und das erklärt dir – gerade in heutigen Zeiten – kein gut informierter und mit Erfahrung befüllter Experte mehr, sondern Bücherwürmer, die Worte nur noch auswendig lernen, statt sie gedanklich wirklich erfassen zu können. Die mögen zwar „gebildeter“ sein, aber das ist heute nur noch eine Station im Lebenslauf, weil man seine Kindheit statt in der Hauptschule im Gymnasium verbracht hat.
Die Bildungsfrage wird ja jetzt auch noch zu Felde geführt, um zu „beweisen“, dass die „Dummen“ lieber AfD wählen würden. Ich selbst ordne das lieber in Kategorien von „gehorsam“ bis „trotzig“ ein. Würde man es wirklich nach individuellem Bildungsstand und nicht stur nach Zertifizierungen einsortieren, würden nicht so viele Junge Grün oder links wählen. Deren Idealismus bedingt eben auch Gehorsam gegenüber den „Narrativ“ (ich kann mir jetzt denken, wer bei dem Wort jedes Mal das Gesicht verzieht), das sich jetzt eben auch so geformt hat, Moralismus, Haltung, Gesinnung vorzuschieben, um den Diskurs zu erwürgen. Dieses absolutistische Denken wird immer größer, bedeutsamer und gefährlicher, tut der Demokratie an den dicken Säulen nicht mehr gut. Und da sägen nun die „Gebildeten“ ordentlich dran herum, weil ihr Denken nun mal nicht über KZ-Bilder hinausgeht. Wer sich so sehr auf banalen Symbolismus verlässt und Extreme braucht, um sich moralisch formen zu lassen, ist eben nicht gebildet, sondern hat in der Uni nur aufgepasst, wenn im Hörsaal sensationsgeschwängerte Fotos von Juden kurz vor´m Duschen gezeigt wurden.
Ich kann es nicht nachweisen, aber ich komme zu keinem anderen Schluss mehr. Also ist Bildung schon das Problem, das solche gedanklichen Fehlstellungen manifestiert und mittlerweile auch zementiert. Niemand würde andere missionieren wollen, wenn man den Blick für das große Ganze hätte, aber sich das Leben zu vereinfachen scheint wohl populärer zu sein als sich mal anzustrengen und sich dem zu widmen, was einem in der eigenen Moralwurst nicht schmeckt. Ich könnte jetzt ewig so weitermachen, die Kette von Einschätzungen weiterzutreiben, aber dazu fehlen mir Zeit, Fähigkeit und Wille, diesen Einschätzungen ein gut recherchiertes Pamphlet folgen zu lassen.
In gewisser Weise wäre es mir ja sogar recht, wenn die Moralisten mal so etwas wie völlig fundierte Argumente aufbringen könnten, um mich zu widerlegen. Aber da braucht es nur wenige Minuten Debatte, um die ersten Widersprüche zu erschnuppern, die mich dazu bewegen würden, jede Aussage sogleich anzuzweifeln. Nun wissen wir ja mittlerweile, wie man mit Zweifeln hantiert. Kann sein, dass sie noch nicht die Stimme erheben („Wer schreit, lügt“), aber oftmals geht es schnell nicht mehr um die Sache, sondern rein um die Schwächung von gegenteiligen Positionen. Und das wiederum ist mir Beweis genug, dass man sich in der eigenen Blase von Schlagworten und Moral doch nicht uneingeschränkt wohlfühlt. Wer gebildet ist, muss nicht laut werden, müsste nicht zu unlauteren Methoden greifen.
Wenn ich mich also getrieben sehe, mich in dieser lauten Öffentlichkeit umzusehen, muss ich mich immer dazu schlagen, das nicht zu ernst zu nehmen. Problem dabei: die da drinnen nehmen es aber sehr ernst. Leichte Debatten sind da gar nicht mehr möglich. Keine echte Ironie mehr. Höchstens noch Zynismus, nur ist das irgendwie abwertend anderen gegenüber, scheint aber auch der Treibstoff zu sein, sich ständig einzuloggen und die dumpfen Aussagen um die Ohren schlagen zu lassen. Trotzdem hilft es nur, das im Kopf zu banalisieren, die Krisen zum Selbstschutz abzumildern. Oder eben sehr gute Argumente im Petto zu haben, die beim Gegenüber mindestens zur Selbstentlarvung führen.
Meist reicht es auch, Argumente streng zu wiederholen, so wie sie versuchten, uns ihre „Narrative“ in den Kopf zu bläuen. Wieder. Und wieder. Die Dinge immer wieder aufmerksam zu halten, bis irgendwann der Realitätsabgleich kommt. Bis die These oder die Vorahnung Wirklichkeit wird. Auch hier gibt es keine Garantie auf Erfolg, aber gibt es immer noch der Trumpf von Lebenserfahrung oder auch das des Klischees. Man will meist von Klischees nichts hören, aber selbst heute stellen sich die Dinge so dar, wie man das schon in der Vergangenheit oft beobachtete. Dumpfes Beispiel: Lassen Sie Frauen ohne Beeinflussung in ein Autohaus und sie ihr Wunschauto wählen. Die Mehrheit würde sich kein SUV-Monster aussuchen. Die Chancen stehen sehr gut, dass sie beim Fiat 500 oder höchstens Mini kleben bleiben. Männer hingehen das Gegenteil. Woke wiederum entgehen dem Klischeedenken, indem sie sich selbst der Wahl verweigern. Dann ließe sich noch ergründen, ob Angst oder Überzeugung in dieser Verweigerung steckt. Allzu häufig steckt da Verzicht drin, den man mit einer höhergestellten Sache rechtfertigt. Ob sie denn freiwillig verzichten, merkt man allerdings etwa am Nutzen von Smartphones. Auf die verzichten sie nicht. Denn auf Wutkanalisierung können sie nicht verzichten, wenn sie schon in der Realität den Gutmenschen spielen müssen. Lächeln, positive Sprache, sich zugewandt geben. Ihr Innerstes verrät jedoch: Fresse, lass mich in Ruhe, ich töte dich, ich bin hier der Chef, die Chefin, das Chefens.
Alles beim Alten also. Nur mit der Zwischenschaltung von Twitter und Co.. wo man seine Identität verschleiern kann, wenn man nicht so irre ist, sich per Klarname kenntlich zu machen. Auch das ist Teil der Bildung – Erfahrungen sammeln, und wenn du spätestens nach drei Accounts nicht schnallst, dass du ganz schnell in Teufels Küche kommen kannst, bist du schlicht doof und nicht durch die Moral oder eben das „Second Life“ geschützt. Ja, klar, wer auf der Welle mitschwimmt, dem geht es bestimmt in absehbarer Zeit nicht schlecht. Man kann sich Schulterklopfern sicher sein, für den Moment ist alles ganz prima. Aber bin ich ein Verfechter der Maxime „Die Wahrheit setzt sich immer durch“. Egal, ob sie über mich hereinbricht oder über allen anderen. Und dann bin ich froh, wenn ich mich wenigstens ein bisschen in etwas eingelesen habe, das meine Meinung stützt. Oder ich vorbehaltlos eingestehen kann, dass ich falsch lag.
Da ich kein aggressiv-offensiver Mensch bin, merkt man das bei mir schnell. Andere hingegen sind so aufgeputscht von Moral, dass sie ihren Bildungsstatus viel zu schnell in die Schublade verschwinden lassen und ihre Emotionen sprechen lassen. Und das führt regelmäßig zu Machtspielchen um den Moment, wer von den Streithähnen als erstes einknickt. Auch wenn – wie erwähnt – noch die letzte Fassade einreißen muss, bis sie dir unverhohlen ihr Innerstes offenbaren. Und das will man dann doch lieber nicht gehört haben. Genau das ist der Punkt, an dem ich verzweifle: Die Bildung ist da, sie müsste nur mal wieder das höchste Gut vor der Emotion und vor allem vor der Moral werden.
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epikur (Samstag, 18 Februar 2023 19:38)
Diese ständigen Moralisierungen sind nicht nur das Gegenteil von Bildung, sondern auch eine stete Beleidigung des intellektuellen Verstandes. Wenn beispielsweise wieder und wieder das "Argument" gebracht wird, dass wer nicht für Waffenlieferungen und für Frieden sei - automatisch will, dass Russland gewinnt und die Ukraine versklavt wird, dann ist das Kindergarten-Niveau. Infantil. Banal. Kleingeistig.
Die hohe Kunst der Diplomatie ist eben die Suche nach einem Kompromiss. Damit das Sterben ein Ende findet. Man muss sich in der Mitte treffen. Das geht gar nicht anders und ist in jeder menschlichen Beziehung so. Erwachsen und reif sein bedeutet eben auch differenzieren zu können. Kontexte, Hintergründe und Zusammenhänge einzubeziehen. All das geht beim Moralisieren komplett verloren und das gibt es heute im öffentlichen Diskurs seit den Corona-Maßnahmen fast gar nicht mehr.
Publicviewer (Samstag, 18 Februar 2023 22:39)
Es gibt keinen Kompromiss "wir oder die"!
Das wird der Epikur einfach nie verstehen.
Die werden immer weitermachen wenn das nicht endgültig beendet wird.
epikur (Samstag, 18 Februar 2023 22:49)
@Publicviewer
Ich gehe mit diesem Extremismus von der anderen Seite nicht mit. Aber das habe ich schon oft auch an anderer Stelle betont. Menschliche Beziehungen funktionieren nur mit Kompromissen. Wer als Einzelkämpfer und ewiger Rechthaber durchs Leben gehen will, bitte. Das ist nicht mein Weg. "wir" oder "die" ist die gleiche Geschichte von "gut" gegen "böse". Das ist totalitär. Da bin ich raus.
Publicviewer (Sonntag, 19 Februar 2023 00:37)
Die machen die Regeln.
So lange auch nur einer von denen übrigbleibt, wir den Kapitalismus nicht vollumfänglich abschaffen und die Oligarchen, Milliardäre und großen Firmen enteignen, werden wir untergehen.
Polemicer (Sonntag, 19 Februar 2023 06:38)
@beide
Ich habe erst mal keine Lust, mich dauerhaft auf deren Niveau zu begeben und selbst den Moralisten raushängen zu lassen. Die Eskalationsspirale lebt davon, dass man das tut. Und den Gefallen sollte man ihnen weitmöglichst nicht tun, wenn die Wahrheit sowieso alles wieder gerade richtet. Lüge und Moral tun das Gegenteil, wenn man sich auch noch genauso verhält. Und wenn die die Regeln machen, dann breche sie.
Das Argument mit dem Kapitalismus... naja, damit spielst du den Moralisten in die Hände. Genau das wollen sie doch, und da sie sowieso einen Hang zur Maßlosigkeit mit Gesetzen, Pflichten und Verboten haben, kann man das nicht zulassen. Ich verstehe das Anliegen, aber momentan ist das auch nur selektiv. Big Tech und Big Pharma fassen sie etwa nicht an. Alles Alte, Traditionelle, was nicht mehr für sie taugt, wollen sie sowieso austrocknen.
Wazzer J. (Sonntag, 19 Februar 2023 06:43)
Moin,
zur Plandemie und allem weiterem was noch kommen mag, hier ein Bsp. für die Fähigkeit zum Disput im besten Schland aller Zeiten.
"Immer zweimal mehr"
https://www.youtube.com/watch?v=rvjdRo8EHL0
@Pw @all
W. Buffet
»Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.«
Es ist höchste Zeit diesen Krieg als das was er ist wahrzunehmen, ihn anzunehmen, zu führen und zu gewinnen.
Alles andere wird in eine reale Dystopie führen.
War die Serie "Fringe" die Blaupause für das was seid einiger Zeit stattfindet?
Holgi (Sonntag, 19 Februar 2023 09:39)
Moral mag keine Bildung sein, die Moralisten bilden sich aber genau das ein. Und da Moralisten meist schöngeistiges studiert haben und auch noch den Marsch durch die politischen Instanzen geschafft haben, sind wir folgerichtig am Ende des aufgeklärten Zeitalters.
Tja, und da braucht's auch keine Schulen mehr.
Polemicer (Sonntag, 19 Februar 2023 17:02)
@Holgi
Schulen sind doch sowieso nur noch Verwahranstalten für hyperaktive Kids zur Beruhigung der Eltern. Das System Schule ist schon derart angefressen, sei es durch diese moralisierten Befindlichkeiten oder das völlige Missmanagement, dass ich heute froh bin, keine Kinder zu haben.
Holgi (Montag, 20 Februar 2023)
@Polemicer
Ich habe leider eine Tochter, die ich besser mit 16 vom Gymnasium geholt hätte. Mir schwante damals schon (heute ist Sie 20 und hat ihr Abitur), dass die weitere Schulbildung auf dem Gymnasium sinnlos ist.
Langsam erholt Sie sich von dem Geistesquatsch und erkennt eine andere Welt da draußen. Aber es ist zäh und anstrengend.