Ich bin noch lange nicht in dem Alter, dass ich mich aus schierer Langeweile bei einer Kaffeefahrt anmelden würde, um „mal wieder raus“ zu kommen. Es ist auch in gewisser Weise eine Zwickmühle, der sich alte Menschen ausgesetzt sehen, statt nur ihr Zuhause und die morgendliche Frühstücksecke beim Bäcker um die Ecke zu sehen. Da grätschen dann windige Werbetreibende dazwischen und locken mit einem aufregenden Tag und Abwechslung vom zähen Rentneralltag.
Nicht umsonst haben solche Kaffeefahrten, die man via Post als Karotte vor der Nase den bemitleidenswerten Stubenhockern aufhängt, einen sehr zweifelhaften Ruf inne. Natürlich ist nicht die Freizeitgestaltung ein selbstloses Angebot von Reiseveranstaltern, um den alten Leuten einen schönen Tag zu bescheren – sie dienen allzu häufig nur dem Zweck, ihnen ein überteuertes Produkt aufzuhalsen. Das Prinzip ist bekannt, und es ist zuweilen sehr übergriffig und Druck erzeugend.
Zu meiner persönlichen Aufarbeitung der Pandemie-Jahre gehört momentan, viele Einzelaspekte mit Vergleichen und chronologischen Einordnungen zu belegen. Man gewinnt Abstand zur Sache, aber auch erst jetzt, wo die letzten Reste kaum noch Wirkung erzeugen. Trotzdem ist einiges hängen geblieben, die Psyche, oder vielleicht gar meine eigene Psyche, hat da einiges gespeichert. Und vieles davon tendiert dazu, es als Warnung zu verstehen; sollte das noch mal so verlaufen, werde ich wohl schnell getriggert werden, alte Gefühle und Warnsignale schnell zu reaktivieren. Diese lange Zeit der Belastung im Status eines Außenseiters ist per se erst mal nichts Schlimmes, aber wenn dich die offizielle Mehrheit einer öffentlichen Bühne ständig mit Beschimpfungen, Diffamierungen und sonstigem psychischem Druck belegt, kann man das nicht als harmlos abtun und zum Tagesgeschäft übergehen.
Was haben denn Kaffeefahrten mit der Pandemie zu tun?
In meinem Denk- und Schreibprozess war ich lange auf der Suche nach einem Vergleich, der am besten auf die Dynamik der letzten drei Jahre passen könnte. Und so hing ich immer bei eben jenen Kaffeefahrten fest, die in vielen Belangen wie eine Reise zu den ominösen Verkaufsveranstaltungen in einem verlassenen Saal einer Gaststätte weitab vom Schuss anmuten. Sie sind als gebrechlicher Mensch auf andere angewiesen, und die Versprechungen des Briefes, wegen dessen Sie die Fahrt überhaupt angetreten sind, stellen sich im Nachhinein als reiner Betrug heraus. Das Wesentliche passiert dann in dieser einsam gelegenen Gaststätte mit Produktverkäufen und der erpresserischen Methode, Ihnen minderwertige Rheumadecken aufzuzwingen.
Nicht jede Einzelheit in dem Vergleich mag anwendbar sein, denn in der Anfangsphase der Pandemie wird es schwierig werden, ähnliche Gleichnisse zu finden, die die Situation akkurat beschreiben würden. Eine Reflexhandlung bei einer nahenden Gefahr - dagegen war im Grunde niemand. Aber in der hoch eskalierten Endphase – da finden wir massig davon. Das liegt schlicht daran, dass die wohlwollenden Momente in der Pandemie und dem Angebot zur Rentnerbespaßung zu rar gesät sind. Das Krisenmanagement ist indes der Bus, den Busunternehmen und Reiseveranstalter kollaborierend steuern. Die Busfahrer sind dabei nur das stumme, ausführende Organ, und die Person müsste schon über sehr gute Verdrängungsmechanismen und Scheuklappensicht verfügen, um nicht zu erkennen, zu welchem Zweck er da die Reisenden durch die Gegend kutschiert. Ob man dem Fahrer oder seinem Unternehmen eine Mitschuld geben kann, solche Praktiken zu fördern oder aufrecht zu erhalten, ist Gegenstand rechtlicher Grauzonen – das Busunternehmen muss ja schließlich schauen, wo es bleibt, und man nimmt jede Gelegenheit mit, sich finanziell über Wasser zu halten. Ferner könnte man sich nach Bedarf auch herausreden, auch wenn es natürlich etwas unglaubwürdig wirkt, von nichts gewusst zu haben.
Auch darin gibt es Ausnahmen. Geraten die Rentner in Rage, weil schon die Hinfahrt mit Situationen zu ihren Ungunsten gespickt sind, wird auch ein Busfahrer schnell motzig. Ein Klischee, das man schon aus der Schulzeit kennt und eine bekannte Macke von solchen Lenkern ist. Ihnen kann man sehr wohl eine Mitschuld einräumen, sollte es zu justiziablen Situationen führen. Die hießen dann Herr Blome, Herr Montgomery, Frau Frühauf, Frau Strack-Zimmermann und weitere einschlägige Figuren mit Personenbeförderungsschein (alternativ: öffentlicher Verantwortung). Die machen sich mit dem Reiseveranstalter gemein und dreschen auf die Fahrgäste ein, wenn sie keine Ruhe geben. Dann wird per Bordmikrofon schon mal gedroht, sie aus dem Bus zu werfen. Eine Schuld würden sie sich natürlich nicht eingestehen und sie den Fahrgästen zuschieben, weil die ja die Klappe nicht hielten.
Ähnliches ließe sich für die Gaststättenbetreiber festhalten, die ebenfalls davon profitieren, wenn man eine Reisegruppe nebst Personal bewirten. Auch sie kommen direkt in Berührung mit den Veranstaltungen, die der eigentliche Zweck von Kaffeefahrten sind – dem Verkauf. Sie servieren Essen und Getränke, und man muss schon blind sein, nicht zu erkennen, was da läuft. Auch Ihnen darf man Mitwissen unterstellen, sich nebenher einer falschen Moral des Selbstzwecks zu ergeben und solche Events überhaupt zu genehmigen.
Nun ließe sich mutmaßen, ob sie, Busunternehmen und Gaststättengewerbe, vielleicht gar wissentlich in die mafiösen Geschäfte involviert sind. Sie profitieren in jedem Fall davon, doch inwiefern dies zum Kalkül gehört, über die Praxis im Einzelnen Bescheid gewusst zu haben und diese sogar aktiv zur Selbstprofilierung mitgetragen zu haben, wird lange oder gar für immer ein Rätsel bleiben.
Widmen wir uns dem Hauptteil des Ausfluges. Die Rheumadecken und sonstige Artikel, die es gilt, an Mann und Frau zu bringen, sind die Impfstoffe. Ihnen wird natürlich in verkaufsstrategischer Weise eine besondere Bedeutung beigemessen, sie werden quasi zum Wundermittel erkoren. Der Duktus ist dabei selbstredend keiner von Fernsehwerbespots, die vielleicht mit lieblicher Stimme Lebensstile triggern wollen oder banale Produkte mit etwas Sinnhaftigkeit zu belegen. Als Empfänger/Konsument hat man die bequemen Freiheiten, sich davon berieseln zu lassen oder nicht. Bei den Rheumadecken wird jedoch der Dampfhammer der Verkaufstaktik geschwungen. Dabei sollte erwähnt sein, dass dies nun der Part des „Einkaufens“ bedeutet, wie es in der Gewinnspiel-Post kolportiert wurde. Die Rentner wurden also in die Irre geführt – denn flanieren sie nicht in einem Ort, um selbst shoppen zu gehen. Ihnen wird ein Kauf, örtlich gebunden, aufgezwungen. Auch bei den Impfstoffen wurde das so gehandhabt. Man nahm uns die Möglichkeiten der Wahl, überhaupt über das Geld-Ausgeben zu entscheiden und minimierte dazu noch die Wahlmöglichkeiten beim Produkt.
Auch im geografischen Sinne wurde die Drucksituation verschärft. Man isoliert so die Reisenden von den Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Aus solchen Gründen sucht man sich gerne abgelegene Orte aus, die den Rentnern die Möglichkeiten zum Ausbüchsen rauben – rechnet also damit, dass Quertreiber in der Gruppe sind, die schlecht für´s Geschäft sind und die das Gebaren an den Nächstbesten ausplaudern. Mit der örtlichen Abgeschiedenheit reduziert man die Risiken, selbst ins Schussfeld zu geraten. Ein wenig passt das zur Strategie der aggressiven Abwehrhaltung Außenstehenden gegenüber, um im inneren Kreis der Krisenpolitik keine Vergleiche anstellen zu können. Wer weitab von Schuss solchen Veranstaltungen ausgesetzt ist und keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen kann, sieht sich einer alternativlosen Tagesgestaltung mit Endzweck ausgesetzt.
Ähnlich hat man uns in die Zange genommen. Virus, Inzidenzen, und nur Biontech und Moderna sind der Ausweg. Wir sollten es kaufen bzw. uns spritzen lassen. Wenn wir uns weigerten, wurde Druck aufgebaut, wurde erpresst und uns als Quertreiber (-denker) markiert. Und wer flüchten wollte, wurde gewaltsam wieder zurückgeschleift – nicht körperlich gefoltert, aber psychisch. Bis zum Äußersten in die Ecke gedrängt. Bis wir uns die Spritze setzen. Und Rheumadecken kaufen.
Nun haben wir dieses Martyrium dennoch folgenlos überstanden. Wir haben uns beschimpfen lassen, uns in die Ecke drängen lassen, wir wollten flüchten und wurden wieder zurückgeschleift. Und haben doch keine Rheumadecken gekauft. Wir können stolz auf unsere Standhaftigkeit sein. Wir sind noch fit im Kopf, haben uns nicht brechen und nicht das Geld aus den Taschen ziehen lassen, weil wir dachten, es wäre für etwas Gutes ausgegeben. Wir haben uns nicht ihrem Spiel ergeben, ihre finsteren Pläne nicht wahr werden lassen, ihnen keine horrenden Beträge in den Hals gestopft. Und trotzdem muss es uns leid tun, dass es manche doch getan haben. Die sich der Angst ergeben haben, die dem Druck nicht standhalten konnten. Ich gebe ihnen keine Schuld, dass sie nur einen Ausweg aus dem erpresserischen Martyrium suchten oder gar arglos Geld hinblätterten.
Jetzt ist dieser Schwindel... nun ja, nicht krachend aufgeflogen, aber das Bewusstsein ihm gegenüber ist ein anderes. Man liest nun die Post von Gewinnspielen etwas genauer, man ächtet solches Geschäftsgebaren. Doch leider läuft man immer Gefahr, falschen Versprechungen zum Opfer zu fallen. Vielleicht werden sie kein Gewinnspiel vortäuschen, mit der Spritze den großen Wurf für alle konstruiert zu haben, doch irgendeinen Lockstoff und eine verdrehte Ankündigung, die sich am Tag X als etwas Dubioses herausstellt, werden sie uns irgendwann wieder auftischen wollen. Das machen Betrüger oft: wenn die Masche auffliegt, suchen sie sich eine neue oder abgewandelte. Daher sind Enkeltrick und Kaffeefahrt geistige Geschwister.
Leider wird es immer welche geben, die Menschen – vor allem die Schwachen, Anfälligen – über den Tisch ziehen wollen. Die Methoden der Krisenpolitik, wie wir sie nun häufiger erleben müssen, haben keine Vorbildfunktion, sondern sind Fälle für die alte Sendung „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“. Heute sind sie dagegen beschlussreif für Gesetze, Mittel der Politik. Wenn das die Zeitenwende bedeutet, werden wir ein Zeitalter der Kaffeefahrten erleben. Und mit ihm würde ein Dauerzustand psychischer Belastungen herbeigeführt, die die Auslastung der Kliniken und die Gewaltzunahme, in der Leute schnell ausrasten könnten, wie wir sie heute erleben, heute wie Kinkerlitzchen aussehen lassen.
Und in solch einem mentalen Zustand wird und will man nicht alt werden.
Kommentar schreiben