Den Jahreswechsel habe ich nun in der Horizontalen verbracht. Die Pizza des Grauens hat meinen sowieso schon beanspruchten Magen pünktlich vor Silvester Magensäurendisco tanzen lassen, was natürlich zu stillem Reflux mit Hustenanfällen geführt hat. Na ja, so wirklich unternehmungslustig war ich sowieso nicht gewesen, und so wurde das „Event“, natürlich überall mit Böllerverbotsforderungen überplakatiert, zur Geduldsprobe, bis die Dauerkanonade draußen irgendwann abebben würde. Erst danach war überhaupt daran zu denken, die Augen zu schließen und wegzuschlummern. Oder kurz: Silvester war mir dieses Jahr völlig schnuppe gewesen. Ob mit oder ohne Krankheit, tat dabei nichts zur Sache.
Woanders hatte man aber andere Pläne vom Feiern. Ein bisschen Krieg spielen mit Feuerwerk? Reinrandalieren statt wie üblich Reinrutschen? Und dabei ist es mir erst mal wurscht, wer das war, Migranten oder nicht, keinen Schimmer. Man durfte sich nur sicher sein, dass die links-woke Berlin Bubble bestimmt nichts damit zu tun hatte. Die musste sich aber mal wieder nach dieser denkwürdigen Nacht in Ausflüchten üben, und die Tagesschau zeigte wieder ganz großes Scherenkopfkino mit Stammeleinlage. Das Schneidewerkzeug hatte wieder ganze Arbeit im Gehirn geleistet. Also kann man auch schon davon ausgehen, dass da leider Migranten federführend waren und die Debatte zwangsläufig wieder dorthin führt.
Was mir in dem Zusammenhang eher wichtig ist zu erwähnen, ist die offenkundige Kanalisierung eines Drucks, den man fast bis zum Er- und Durchbrechen im Dampfkessel gehalten hat. Ich hatte schon früher den Eindruck, dass die restriktive Politik der letzten drei Jahre irgendwann ihre Folgen zu spüren bekommen wird, und dass das keine durchgeimpften Antifas sein würden, an Silvester völlig auszurasten; kann auch daran liegen, dass man sich jetzt drei Jahre lang in den (a)sozialen Medien gut abreagieren durfte. Das reicht dem allgemeinen Links-Alman. Das und ein paar Runden Splattergaming. Dazu konnte man sich ja regelrecht wundsolidarisieren. Überall Haltung zeigen - das beschäftigt und verschleißt wie nach einem Marathonlauf.
Nur was hat das alles mit Neukölln zu tun? Ich wage einfach mal einen Schuss ins Blaue, dass Wunsch und Wirklichkeit dort in Extremform und komprimiert zu beobachten ist. Und da spielt so vieles mit hinein, auch im Vergleich zur Bubble Prenzlauer Berg und Unter den Linden, die als Gegenentwurf ihre Einhornträumereien an Silvester zerschellen sahen. Das Gestotter in der Tagesschau war nur ein Hinweis darauf, die vielzähligen Relativierungen erst recht. Jetzt sehen wir wieder einige Déja-Vus heraufziehen. Zack – und schon werden wieder Erinnerungen an Silvester 2015 wach. Auch so ein Großereignis, das in einer woken Hochburg stattfand. Und nicht dort, wo die Kartoffeln wohnen, auf dem Land oder wo das Patriarchat sich sonst so niederlässt und vom „ausländischen Gesocks“ abschottet, wurde zum Großangriff geblasen. Nein, sie wüten dort, wo sie auch sonst anzutreffen sind.
Die Gründe kann man im Blinde-Kuh-Spiel ertasten. Man weiß, da hat sich etwas aufgestaut, es gärte, bis jetzt eben der Kessel explodierte. Gib ihnen das Werkzeug, und beobachte die Folgen. Sicherlich ist es naiv zu glauben, sie würden sie gar nicht anrühren oder verantwortungsbewusst damit umgehen. Dafür sind sie viel zu brachial, anders sozialisiert, auch vorbelastet. Und wenn du solchen Zeitbomben Böller in die Hand gibst, gibt’s kein Halten mehr. Dem braven Deutschen würde so etwas natürlich nie und nimmer passieren.
Na ja, zumindest der Prenzlauer Berg- und Unter den Linden-Meute. Deren utopische Vorstellungen von der Eigenerfahrung, wie nett und achtsam und klimabewusst es dort angeblich zugeht – das ist doch der Plan und Lösung für uns alle (keine Ahnung, ob man das dort so denkt, aber von hier aus liest es sich so). Fahrradfahren und Bus und Bahn nutzen, zufrieden auf dem Biosalat herumkauend und nachhaltige Klamotten vom Spezialladen für schlappe 400 Euro tragen. Und wenn die zu teuer sind, kann ja der Staat zahlen oder so.
Nein, Berlin ist nicht der Nabel Deutschlands. Nicht mal ganz Berlin ist der Nabel des utopischen Berlins mit seinen freaky Weltverbesserer:innen. Es ist nichts weiter als eine lokale Bühnenshow mit Wunsch-Happy-End, die das deutsche Kino erobern will. Aber bitte jetzt bei Happy End nicht an Thai-Massagen denken, weil das ja wieder sexistisch ist. Nein, deren Utopie ist die der totalen Askese, das Überleben über das Leben zu stellen, Spaß verbieten, weil er nicht CO2-neutral ist, Laster alle aufzugeben, weil die gesundheitsschädlich und auch noch klimaschädlich sind. Da sind solche Brachialos wie in Neukölln natürlich schon ein Realitätsschock, wenn ihre ideologischen Kumpels plötzlich stockbesoffen und zugedröhnt mit Böllern klima- und menschenschädigende Partys feiern.
Doch mal ehrlich: würden wir nun wirklich nach dieser Maxime leben, völlig rein im Gewissen und von allem entfernt, was dem Planeten in irgendeiner Weise schaden würde, würde Deutschland das langweiligste Land auf der Welt sein – wo keiner mehr hin will, weil es dort nichts Charakteristisches mehr gibt. Worin keiner mehr leben will und sicher nicht bereit ist, irgendetwas Lebenswertes wie Feiern und Saufen und Rauchen dem nachhaltigen Verzicht zu opfern.
Und leider würde das auch noch aus einer Ecke in Deutschland ins ganze Land strömen, die mit Realitäten, die ihnen fremd sind und die sie gleichzeitig propagieren, überhaupt nichts zu tun haben. Die sind nur Bilder in ihrem Kopf, und durch ihren Kopf auch noch sehr romantisiert verzerrt worden. Das Problem dabei: es ist schon in diese hintersten Ecken gediehen. Und sie werden auch dort ihre Fassade und Wunschträume ausleben können, das Umfeld wird auch dort auf sie reinfallen, und sie werden sich genauso diese übergriffigen Besserwissereien anhören müssen, die irgendwann so abgehoben sind, dass sich auch im beschaulichen und weitgehend homogenen Odenwald eine Spaltung ausbreitet, die auch die letzten Bastionen der Zufriedenheit aufsprengt.
So kann Deutschland auch weiter am Berliner Wesen verwesen. Und ich liege auf der Couch, genese lieber statt verwese und schaue zu, wie eine dysfunktionale Stadt zum Nabel, aber auch zum Sargnagel eines einst lebenswerten Staates geworden ist. Das schaue ich mir gerade an wie ein faszinierter Museumsbesucher durch eine Glaswand.
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