Ein Nachwort zu meinem offenen Brief an Thomas Laschyk:
Mir hatte es ehrlich schon lange in den Fingern gejuckt, ihnen mal einen solchen zu verfassen. Ich hatte ja eher die monologische Form im Sinn gehabt, und der Anlass ist mein immer noch anhaltender Unglaube über den für mich nicht mehr zu akzeptierenden Weg, den die Antifa gegangen ist. Zu der sich Laschyk und der VP auch stark verbunden fühlen, weil es einfach eine gewichtige Zweckgemeinschaft im Kampf gegen Rechts war und ist und ich das bisher, bis zu Corona, als unterstützenswert betrachtete.
Allerdings hatte Laschyk mir mit seiner Schnauze-voll-Kolumne nun den besten Aufhänger serviert, den Brief endlich zu schreiben. Mir juckte es einfach in den Fingern, ihnen auf selbige zu klopfen. Vielleicht nicht nur aus thematischen Erwägungen, sondern auch, wie sich der Blog (Faktenchecker kann man ihn ja nicht nennen) als die kindische Form der ARD-Äquivalente oder Correctiv aufspielte. Hihi-haha-ihr-Ungeimpfte-seid-alle-doof-Kindereien – bisher hat sich der Volksverpetzer in dieser simplifizierten Form präsentiert und hatte sich entsprechend ähnlich klingende Fans angezogen. Zu meiner Gegendarstellung und dem dazu relevanten Tweet sind dann ein paar Kommentare von VP-Verteidiger eingegangen, die die Fingerzeig-Methode mehr oder weniger zwangsläufig anwendeten. Dabei reden dann manche von „Vernunft“, die ich in dem Duktus wirklich witzig finde, wenn sie im Kleinkindersprech von „Vernunft“ brabbeln und sich gleichzeitig vom VP-Zynismus weichkochen lassen.
„Was willst du mal werden, wenn du groß bist?“
„Vernünftig.“
Dazu muss man erst mal groß werden, auch im Kopf.
Back to the Wochenschau. Auch, wenn das jetzt nahtlos ineinander übergeht.
Beim VP reichte nur ein Blick in deren Artikelgestaltung, die augenscheinlich wird. Da wirst du rein designtechnisch teils äquivalent zu geteilten Spaßvideos in den (a)sozialen Medien penetriert, wo drölfzig Ausrufezeichen und eine ganze Palette von Lachsmileys schon vorweg nehmen sollen: Das wird jetzt echt wirklich voll lustig!!!!!
Das reicht vom Katzenvideo, worin ein Fellknäuel das Nagetier im TV anspringen will bis zu Politiker-Aussagen, die in dem Smileybatzen-Overlay regelrecht untergehen. Subtil ist das wahrlich nicht, aber so funktioniert eben das Internet. Einerseits scheint der/die Videoeinsteller(in) das so lustig zu finden, dass andere das genauso lustig finden dürften – und wenn nicht, peppt man es eben mit Ausrufezeichen und Smileys auf. Ergo: Wirkverstärker. Andererseits ist es die Droge der Aufmerksamkeitsgenerierung, und selbst wenn Viewer Nummer 68.776 sich einen Dreck um die Herkunft des Videos schert, ist die schiere Zahl der Views der Dopaminschub für die Person Null, die das Video viral gehen lässt.
Diese Verbreitungsdynamik hat schon was für sich, aber höchst selten spült sie den Ursprung in Form der erstellenden Person an die Oberfläche und führt auch zu einer gewissen Prominenz mit Namensnennung. Es bleibt dennoch zumeist nur das Produkt im kollektiven Gewissen hängen, die Akteure dahinter bleiben hingegen egal und werden auch weiterhin in der Masse der Ungesichteten verweilen müssen. Dagegen hilft letztlich nur das Nachhelfen mit aggressivster Werbung sowie der unbedingte Wille oder auch die vorhandenen Mittel, sich öffentlich zu machen.
Natürlich gilt das weniger für die „vernünftigen“ Themen und Betätigungsfelder, die zum Teil die Internetjunkies mit Stoff versorgen. Das Internet ist dabei wohl eher als Verwertungsfabrik zu verstehen, das sich jedes Extrem aus der Realität zu eigen macht und sie mit Bildchen und Parolen samt Ausrufezeichen noch weiter extremisiert. Man sollte da schon ein wenig vorsichtig sein, diese überdreht-künstliche Welt allzu sehr an sich ran zu lassen – wenn man dies auch noch an sich selbst anwendet und anfängt, selbst so hysterisch zu lachen, zu weinen oder politische Statements zu skandieren, sind wir letztlich nur noch die Sklaven der Internet-Dynamik und seiner Borderline-Symptomatik.
Was sich jetzt wie eine Warnung anhört, ist ja schon längst so eingetreten. Das macht es leichter, es so zu beschreiben, und auch mein Anliegen, meine Auffassung davon zu skizzieren. Soll heißen: Es nervt mich eher, als dass es mich unterhält, und ich habe mich sogar ein bisschen davon anstecken lassen. Häufig denke ich, es soll den Leuten als Betäubungsmittel dienen, sich entweder nicht nüchtern mit einer Sache auseinanderzusetzen oder beschreibt in seiner Beiläufigkeit sogar den Grad dessen, wie man heute mit wichtigen Themen umgeht. Wenn also ein zweiseitiger Artikel in der Tagesschau schon zu viel ist. Man ersetzt die Worte, dessen Semantik und die Aussagen zwischen den Zeilen durch Bilderbatzen und sonstige Wortkomprimierungen und -kreationen.
Natürlich verkümmert damit auch die Fähigkeit, Zusammenhänge zu bilden, das Größere darin zu erkennen. Natürlich dient das den Mächtigen, abseits dieses Fähigkeitskorridors Dinge zu tun oder zu beschließen, die in aller Ruhe ein- und nachwirken können. Selbst sich selbst titulierende „Faktenchecker“ werden so zu willfährigen Gehilfen, wenn sie nur das sehen, was einerseits ihnen selbst genehm ist und andererseits nicht sehen, was man durch Nicht-Erwähnung von ihnen weghält. Und das in einer im Sinne dieser Kurzvideos angelehnten Infantilität, die nur noch zwei Gemütszustände zu kennen scheint: hysterisch lachen oder hysterisch empört sein.
Deswegen finde ich Laschyks Kolumne so bezeichnend – jetzt, wo Gratisprominenz und der Gratismut irgendwann doch spürbare Kosten für ihn selbst verursachen. Die Reaktion soll nun weiter auf der emotionalen Ebene geführt werden. Klar – Emotionen schlagen für viele die nüchterne Realität, weil die so lästig träge und wortreich ausgefüllt ist. Aber sie entschuldigen nichts. Leider ist das dazu eine Art Totschlagargument gegen den Mist, den man selbst so verzapft. Und obwohl ich durchaus dafür bin, Emotionen oder Gefühltes nicht gänzlich auszusparen (was uns, täte man es doch, wieder in alttestamentarische Hardliner-Zeiten katapultieren würde), ist es als Persilschein gänzlich ungeeignet. Und das sollte dieser Flunsch-Artikel erreichen: Reinstwaschung in trotzigen Tönen, um noch irgendwie deutungshoch zu verbleiben, dabei schwenkt der Mainstream jetzt doch klammheimlich um und düpiert sogar seine Nachahmer.
Dass der Mainstream jetzt derart umsteuert – geschenkt. Lieber spät als niemals, aber vielleicht zu spät, weil das Kind schon in den Psychobrunnen gefallen ist. Also die unbedarften, „echten“ Kinder – nicht die gesetzlich Erwachsenen mit Nachholbedarf in Lebenserfahrung. Dass die nun von einem Extrem ins andere rutschen, wenn ihnen Gegenwind entgegen bläst, kenne ich bereits von der langjährigen Debatte um Erziehungsmethoden: autoritär oder anti-autoritär? Den Konflikt haben wir schon damals ausgefochten, und als Antwort auf die autoritäre Erziehung wurde dann genau das Gegenteil als Ausweg angewandt, was uns heute mit einer Generation der Fühlis und Respektlosen auf die Füße fällt.
Und da müssten eigentlich diejenigen auf den Plan kommen, die den Mittelweg wählen. Ob der auch der „goldene“ ist, müsste mal wieder probiert werden, weil für mein Verständnis meine Kindheit und die Epoche, in der wir Post-68er groß wurden, diesen Mittelweg kennenlernen durften. Vielleicht müsste auch in allen anderen Belangen dieser Mittelweg gepflegt und begangen werden – damit die Meinungsextremisten jeder Couleur keine Chance mehr auf Machtstellung und Entscheidungsgewalt hätten. Natürlich ist das unheimlich schwierig zu realisieren, aber dafür würde es uns genügend Energie abfordern, das stetig zu erhalten. Was wir also für meine Begriffe bräuchten, wäre ein Regime der Abwägenden, Fünfe-mal-grade-sein-Lasser, Zwischen-den-Stühlen-Sitzer. Das hätte nicht mal das Klischee der „German Angst“ groß bedient, während das angelsächsische Sich-ins-Abenteuer-stürzen-Mantra eher als blinder Aktionismus erkannt werden würde. Man gibt sich dagegen eher Mühe, Amis und Engländer lebenslustiger darzustellen als den pauschalen Stoffeldeutschen. Natürlich liegt die Wahrheit dieser Katalogisierung wieder irgendwo dazwischen.
Dann wäre aber auch Schluss mit dem Bedürfnis nach Ausrufezeichen und Lachsmileys, die die eigene Wertigkeit künstlich in die Höhe treiben würden. Denn wie häufig solches Blendwerk zum Absturz führt, sieht man aktuell in allen Bereichen des Lebens, wo Selbstdarsteller sich ihre zeitweise Co-Existenz versüßen lassen. Und das wäre etwas, das uns tatsächlich mal von Despotismus und religiös dominierten Schurkenstaaten unterscheiden würde – stattdessen zeichnet man die Demokratie heute quasi als ein Internetvideo mit vollgeklatschten Fingerzeigen, Fingerhebern und Wertigkeitsverstärkern als Nonplusultra der möglichen Staatsformen, ohne auch nur darüber nachzudenken, dass die Doppelmoral alsbald die Wohnungstür eintreten und deutungsverwöhnten Gehirne aufweichen wird.
Vielleicht sind das Gründe, warum ich so mit dem Heute so fremdele. Alles, was als „en vogue“ gilt, ist mir zu laut, zu dummdreist, zu überdreht geworden, und wenn ein Blog erst mit seinem Lachsmiley-Zynismus Punkte machen kann und im Gegenteil die Flennmasche auspacken muss, ist das nicht mehr meine Welt. Auch, weil ich zu stur und zu different sozialisiert worden bin, mich dem Gehabe zu unterwerfen, selbst wenn es erfolgversprechend ist und mir sicherlich einen anderen Lebensstandard bescheren würde.
Ich glaube, die Phase, sich über den Blog etwas mehr auszulassen, sollte jetzt dem Ende zugehen. Von meiner Sparte aus mache ich jetzt einen Cut – auch weil das Pendel bei ihnen auch weiter unnatürlich von einem Scheitelpunkt zum gegenwärtigen ausschwingt. Also alles so verläuft wie gehabt: weiter läuft der Reaktor auf Überlast, samt klatschiger Anime-Optik und neuem Zynismusfutter.
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Tillsitter (Donnerstag, 15 Dezember 2022 14:16)
"Oh! Fünf Ausrufungszeichen. Ein sicheres Merkmal dafür, dass jemand seine Unterhose auf dem Kopf trägt."
(Terry Pratchett)