Fühlen Sie auch, wie die Luft auffrischt? Wie es nach saftigem Frühling riecht? Nein?
Nun, das mag daran liegen, dass es Anfang Dezember ist und die Blätter fast vollständig von den Bäumen gefallen sind. Das ist normal. Eher un“normal“ ist die politisch-gesellschaftliche Jahreszeit, die man eigentlich nur noch zynisch bis sarkastisch betrachten und die Summe der Ereignisse in ihrer Gewichtung nur mit Galgenhumor relativ gewinnbringend für einen selbst ertragen kann. Es müsste eigentlich nach tiefstem Winter in kalt-blau riechen, abgestandener Luft, eiskalt.
Klar, dass uns die Themen der letzten drei bis sieben (vielleicht auch fünfzehn) Jahren uns ständig auf Trab halten. Denkt man historisch, sind es durchaus fünfzehn Jahre, nimmt man die Finanzkrise hinzu – es geht aber konkret eben um Themen, die wir in den (asozialen) Medien wieder und wieder beackern: Flüchtlingskrise, Klima, Corona, Krieg. Diese vier beschäftigen uns. Ausgefochten werden diese Schlachten in blutigster Rhetorik, als würde jedes Schimpfwort einen tiefen Schnitt ins Fleisch bedeuten. Maschinengewehrsalven mit Dum-Dum-Geschossen - da spritzt das Blut und die Köpfe platzen. Und wenn versucht wird, das mit Humor zu ertragen, kann man schlecht mit Einhörnern und Bienchen und Blümchen scherzen.
Auch ich lasse mich ab und zu dazu hinreißen, Hiebe auszuteilen. Zumeist nur als Reaktion auf übelste Hetze, die man momentan so über mich und Gleichmeinende niederschlägt. „Ziiiiiing“ schneidet die Klinge die Luft entzwei. Mehrmals, immer wieder. „ziiing.ziing.ziiiing.“. Die Schwerter des Wortes hören einfach nicht auf zu ziiingen. Und sie tun es immer häufiger. Da rappelt es gewaltig im Twitter-Karton, mehr denn je, und irgendwie ist die Spirale der Wortgewalt immer noch nicht durchlaufen, weil es grob gesehen immer schlimmer wird. Der Zenit ist eben noch nicht erreicht. Schlimmer geht immer.
Eigentlich kann man gar nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Aber sie beweisen dir tagtäglich auf´s Neue, dass es möglich ist. Weil sie es durften, weil ihnen die Hintermänn:innen den Weg freigeschaufelt haben. Wann ist dann der Punkt erreicht, an dem nichts mehr geht? Wann ist der Gipfel der Eskalation erreicht? Mit Atombomben? Wegen Corona der Atomkrieg ausgebrochen... Klingt sowas von abwegig, aber im zweiten Gedankengang auch wieder nicht. Uff. Irgendwie scheint alles möglich. In solch fragilen Zeiten zu leben ist wirklich nicht einfach.
Der eigentliche Anlass für diese Wochenbetrachtung ist mein Eindruck, dass gerade das moralische Wolkenkuckucksheim beginnt, in sich zusammenzufallen. Man hat sein Kreuz mit der Moral, vor allem wenn sie nicht astrein und ohne Gewissensbisse verkünd- und anwendbar ist. Sie dachten, sie hätten damit die Antwort auf alles in ihren Händen. Ohne dass Widerrede überhaupt möglich und begründbar wäre. Doch immer wieder blenden sie so aus, dass eine solche Moral nicht existiert. Diese Moral löst nicht alle Probleme auf der Welt, sie wird nicht ewig überdauern und schon gar nicht in Zeiten, in der diese Moral – kaum verkündet – auch ihre Schlechtigkeiten offenbart und immer (!) ein dualistisches Mantra ist, das man nicht allein durch Glauben oder Lautstärke wahrhaftig absolut machen kann.
Natürlich ist etwa eine humanistische Hilfeleistung für Kriegsflüchtlinge nötig und gut. Egal, ob das nur die Hilfe Einzelner ist oder die des Staates. Die Moral der Nächstenliebe ist ein hehres Ziel, das man nicht im sehr weit rechts angesiedelten Protektionismus mit Grenzschließungen und ähnlichen Abschottungsmethoden bis hin zu „Ultima ratio“ konterkarieren darf. Die Debatte schien sogar schon fast durch, da mehren sich die News über Messerstecher, die den anständigen Flüchtlingen natürlich keinen guten Ruf verpassen. Zack – die Debatte ist wieder da, natürlich angeheizt durch die anstehende Krise 2015 – 2.0. Und offenbart mit ein paar Messerhieben („ziiiing!“), welch negative Folgen damit einhergehen und wir so naiv damit umgehen. Sogleich geht jede Strategie aus Schönfärberei wie in der Werbewelt sofort flöten.
Doch als ob es nur um dies ginge... Corona ist ja immer noch da. Ukrainekrieg sowieso. Und Klima, nicht zu vergessen. Alles mit dem Potenzial zu einem Klumpen zu werden. Multikrisenknetklumpen, in verschiedenen Farben, verbacken zu einem großen, vielfarbig gescheckten Knollen. In diesem Krisenmodus kann man vieles tun. Und wenn eine Krise schwächelt, hat man noch drei andere übrig. Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass Krisen gar nicht mehr gelöst werden sollen oder wollen. Damit kann man nämlich prima Dinge durchwinken, die in friedlichen Zeiten gar nicht durchgewunken wären und am Widerstand des Parlamentarismus gescheitert wären. Hat man einer Bevölkerung, der Wirtschaft und Politikern mit Krisen das rationale Denken taub gestellt, kann man im Extremfall sogar Zustimmung zum atomaren Erstschlag erreichen. So weit mögen wir noch nicht gekommen sein, weil letztlich doch noch ein bisschen Angst davor und eine wirre Vorstellung in Vorstufe davon übrig ist, Frieden mit Waffenlieferungen oder die Ultima-ratio-Gesundheit mit Maskenpflichten zu erreichen.
Dazu gibt es nichts zu deuteln und zu widersprechen. Meinen sie. Aber wie regelmäßig muss man nur die Entwicklungen abwarten, wenn nicht vorher schon prophezeit, dass nicht jede Werbestrategie oder Verpflichtung zum Gut-sein auch automatisch immer gut ist. Ähnlich wird das dazu noch bei der Klimadebatte gehandhabt, allerdings nicht in Bienchen/Blümchen-Wunschwelten, sondern gerade da mit apokalyptischen Untergangsfantasien, die jeden Schwurbler um Längen schlagen. Ein bisschen Panik hilft dabei immer, die vermeintliche Dringlichkeit von Verboten und Pflichten zu unterstreichen – ergebnisoffen wird damit aber nie umgegangen. Zumindest in den letzten drei bis fünfzehn Jahren eben nicht mehr, jetzt, wo wir feststellen müssen, dass alles nicht ewig überdauern kann und wir somit unser vielseitig wirtschaftliches, gesellschaftliches, zwischenmenschliches Scheitern erkennen müssen. Mit unserem neu indoktrinierten Umgang mit Flüchtlingen oder dem völlig aus dem Ruder gelaufenen Gesundheitsschutzgedanken der Generation Helikopter meinen wir einen Ausweg aus unserer Psychofalle der Erkenntnis über unser Scheitern gefunden zu haben. Übersehen jedoch, dass die Weltgeschicke eben nicht statisch, sondern höchst dynamisch verlaufen, immer wieder auf den Prüfstand gestellt und in der Entscheidungsfindung angepasst werden müssten.
Stattdessen ist da eine geistige Faulheit entstanden, was letztlich auch in eine Bequemlichkeit der Fachidiotie geführt hat. Man kennt es als Schwarz-Weiß-Malerei, den einfachen Weg zu gehen. Klar – es ist reizvoll, absolute Entscheidungen zu treffen und sie unter schlichtesten Parolen einzubetten. „Refugees welcome“, „Impfen ist Liebe“ oder „Slava Ukraini“. Mehr braucht es für sie nicht, ein „aber“ wird nicht akzeptiert geschweige denn toleriert. Und das ausgerechnet so hartherzig bekämpft von Menschen, die die totale Toleranz einfordern.
Von ihrer Warte aus mag das alles gut gemeint sein, doch verkennt man ständig die Folgen von etwas. Folgen, die nicht nur - nach der Entscheidung - in der realen Entwicklung, sondern auch schon im vorausnehmenden Denkprozess anzunehmen sind. So lange etwas eine These bleibt und nicht Realität geworden ist, kann man es noch abtun, niederreden, gar diffamieren, wenn man so gestrickt ist. Und gerade die Moralisten mit ihrem Absolutheitsanspruch an die eigens verlautbarte Moral treten regelmäßig in die Fettnäpfchen, die das unantastbare Karma wie von Geisterhand auszulegen beginnt. Zack – schon kommen die Messerstecher auf den Plan, die Impfschäden, die Triage von Kindern im Aufnahmeprozess in Psychiatrien oder die Lügen eines vorher schon korrupten Staatspräsidenten.
Und genau das erreicht uns gerade im großen Bündel. All die Fettnäpfchen werden nun zielgenau durchschritten, besudeln Schuhe und Socken und Hosenbeine. Der Ärger darüber wird gerade tonnenweise in den (a)sozialen Medien ausgeschüttet, samt Realitätsverweigerung und dünnhäutigen Relativierungen oder gar Verleugnungen. Und zeigt nun, wie sie reihenweise an ihren moralischen Ansprüchen scheitern. Schon wieder. Nichts scheint aber auch richtig klappen zu wollen, weder das Impfmantra noch der Anspruch vom empathischen Akt der Flüchtlingshilfe, der durch eingeschleppte Morde einen bitteren Beigeschmack erhält. Argumentativ biegt man sich es gerade noch durch Teilerfolge herbei, und doch sind es nur Momentaufnahmen und keine ganzheitliche Betrachtung, die sich schnell auch wieder ins Gegenteil verkehrt. Man braucht nur die Gaskrise für eine solche Kurzsichtigkeit heranzuziehen – da wird etwa Habeck gefeiert (weg vom russischen Gas), dann kritisiert (wo anderes Gas herbekommen?), dann wieder gefeiert (Gasspeicher sind voll). Und heute leeren sich die Gasspeicher eben wieder. Weil es eben kalt draußen ist. Kein Klimawandel aktuell, eher ein durchschnittlich kalter Dezember. Das verdüstert wieder die Minen und die Angst davor, woher die nächsten Gaslieferungen herkommen sollen. To be continued... Hü-hott-Habeck, Endlosschleife.
Dass es eben momentan kalt ist, passt dann nicht mehr zu Hoffnung um den menschgemachten Wärmewinter (auch Habeck). Mein Gott, was hat sich der Kinderbuchautor verzettelt... Und die Vor-den-Kopf-Gestoßenen wollen das natürlich alles so nicht akzeptieren und flüchten sich weiter in die heile Werbewelt, in der die Slogans von der Absolutheit des Guten sie weiter füttert. Das wiederum flutet mir die wohlige Frühlingswärme der Genugtuung ins Herz, dass die Hirnbetäubung via Parolen nicht mehr so wirklich funktioniert – natürlich ist das bösartig, sarkastisch, gar zynisch. Aber es bleibt mir ja nichts anderes, als für mein Seelenwohl diesen Umstand derart zu verarbeiten.
Nachtrag: Natürlich kommt einem zusätzlich die Musk-Twitterfiles-Geschichte gerade recht, für das eigene Recht. Aber was bringt es, wenn die EU weiter verbittert bleibt, unverhohlen mit Zensur der Plattform droht und die Medien das skandalträchtige Gebaren (andere Meinungen zu Corona auf eine Blacklist zu setzen) vor Musk beharrlich verschweigt? Die Geschichte ist noch lange nicht vorbei, und je tiefer man gräbt, desto erschütterter ist man.
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