Eigentlich wollte ich nichts über meinen Arbeitsunfall erzählen. Es wirkt auf mich so mega-banal, dass ich ihn jetzt zwei Wochen nicht niedergeschrieben habe, aber ich habe diese Woche das dringende Bedürfnis, über Banales oder Privates zu schreiben. Mehr Realität, weniger Gezwitscher und Gefratzebuche. Weniger Politiktheater, mehr „My Musikantenstadl“. Es nervt sehr, den Gemütszustand einer Blase bezeugen zu müssen, die sich und alle immer mehr in den Wahnsinn hineinzieht.
Ein bisschen Twitter dann doch noch, und nur etwas zu Herrn Melnyk. Der muss noch raus. Dürfte ein Begriff sein, sage ich mal gespielt naiv. Als ich sein jüngstes Wischgewäsch las, dachte ich, Wahnsinn wäre ein fast noch zu schwaches Wort, um zu beschreiben, was mit dem Mann los ist. Erst darf er noch ganz harmonisch beim medialen Kaffeekränzchen einen auf sich sorgenden Familienvater machen, wie es jetzt mit ihm weitergeht und dass man seinen Weggang ja furchtbar bedauere. Natürlich ging es vorrangig um seinen Sohn, der in der Berlin-Blase, weit weg vom Konflikt außen vor bleiben darf, während Papa nun in die Heimat rübermachen muss. Natürlich haben das die „Putin-Trolle“ und „Russland-Bots“ gleich geshitstormt. Ich auch. Keine Ahnung, was ich jetzt sein soll – ein fettes Drei-Meter-Fuffzig-Fabelwesen oder der Kumpel von Alexa in kyrillischer Schrift.
Jedenfalls haben mich seine jüngsten Buchstabenausdünstungen sehr sauer gemacht, auch ohne Anweisung vom Kreml. Dazu brauche ich keine besondere Agenda, die mich vorantreibt. Auch wenn man mir sonst was unterstellen mag, sehe ich mich nur meinem eigenen Gewissen verpflichtet. Und da dieses Diplomatenarschloch nun zum Abschied dermaßen vom Leder zog und jeden Friedensfan übelst anblökte, riss auch mir kurz die Hutschnur. Mein eigenes Geschreibsel ging dann viral – ui, sehr viele Likes. Das hat sogar er zur Kenntnis genommen, und seine Reaktion war... ein Block. Klar. Nur muss man das in einem Kontext sehen, weil er unter anderem Elon Musk noch weiter übelst anblökte. Mich machte er gar nicht erst an, mich kleinen Scheißbürger. Putin-Troll. Nur, weil ich nicht seiner Meinung war, Russland müsse eliminiert werden und in seine Richtung mal ordentlich zurückpolterte.
Ja, Sie haben richtig gelesen. Da kommen jetzt seine Bandera-Fantasien raus. Nun ist ein ganzes Volk zu schlachten. Nicht nur Putin, nicht nur dessen Regierung. Sondern Russland. Alles. Tutto kompletto. Dem hängen sogar noch einige an den Lippen und labern den Vernichtungsscheiß nach. Bedauern sein Ausscheiden. Kaffeekränzchen. Ach, der liebe Familienvater, der will doch nur spielen und das Beste für seine Liebsten. Ich habe mein Verständnis für ihn oder seinen Sohn jetzt in die Schublade gepackt. Brauche ich nicht, braucht er nicht. Dieses potenzierte Arschloch. Fort mit ihm. Ich kann ihn nicht mehr sehen. Oder auch nur wissen, dass er in meiner Nähe weilt. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn er mir auf der Straße begegnete. Und nein – dieses Mal keine Selbstrelativierung (von wegen mach ich ja eh nicht und so). Jetzt verliere ich auch mal die Contenance. Keine Differenzierung mehr für dich. Völlige Verachtung. Verpiss dich endlich. Ich winke dir zum Abschied mit mindestens zwei Stinkefingern. Ich halte ja viel aus, aber das war mein persönliches Tropfen-Fass-Erlebnis.
So. Cut. Zurück zu meinem Arbeitsunfall. Vor zwei Wochen hatte ich mir übel in die Hand geschnitten. Hantierte mit einem stumpfen Messer herum, rutschte ab - schön lang und breit in meine Handfläche. Sah mir das Elend an, und da quoll der Lebenssaft schön breit heraus, in die Handfläche. Also ganz schnell zu irgendwem geeilt (im Kundendienst gar nicht so einfach). „Hallo, ich habe mir in die Hand geschnitten.“. Hielt den Schnitt zu, sonst hätte ich eine rote Linie gezogen. Scholz-Assoziation. Bin ich zu sehr SPD, wenn ich jetzt nicht mein Blut laufen lasse und eine Linie ziehe? Ja, das ging wir wirklich durch den Kopf. Ich stand dann im Sekretariat einer Physio-Schule und habe es ohne rote Linien geschafft, dort anzukommen. Mit nur einer roten Pfütze in der Handfläche. Die Dame am Tisch spang sofort auf, half mir, verpasste mir einen Druckverband. Die Leitende der Schule bot sich an, mich zum Arzt zu fahren. Blöderweise war Mittwoch. Nach der Mittagspause. Also sind Ärzte geschlossen, blieb demnach nur die Klinik im Ort.
Die Schulleiterin bestand drauf, mich zu fahren – bevor ich „noch umkippe“. Danach war mir in dem Moment weniger, eher nach Runterfahren der Aufregung. Es ist nur so, dass ich zwei Wochen vorher meine neue Stelle angetreten war. Zwei Wochen, und schon gleich dieser Ausrutscher. Ich sah mich schon zuhause sitzen, mit einem enttäuschten Chef, der vielleicht gleich denkt, er hätte sich einen Trottel eingestellt, der nur Geld kostet. Dazu 10 Tage Krankenschein. In einem 4-Personen-Betrieb natürlich besonders giftig.
Zuvor aber der Krankenhausbetrieb. Natürlich mit Maske, aber wenigstens keinen Test, den ich nachweisen musste, das galt nur für Besucher. Standen sich die Beine am Eingang in den Bauch, während am Stehtisch mühsame Bürokratie ihren Lauf nahm. Meine Maske hatte mir die Schulleiterin aufgedrängt, weil sie mich nicht ohne im Auto sitzen haben wollte. Danke fürs Fahren, aber nicht danke für diesen Maskenmist. Ich bin gerade dabei, es mir wieder schön abzugewöhnen, nach Holland, nach Frankreich und nach Sommerlaune gar in Deutschland und mein „Querdenker“-Gebaren im heimischen Bus. Ich bin übrigens immer noch nicht tot, eher sterbe ich an stumpfen Messern in der Pulsader oder an geplatzter Halsschlagader, wenn ich mich über ukrainische Faschisten aufrege. Aber im Krankenhaus, da geht nicht ohne. Es ist Mittwoch, und ich muss in eine Gesundheitseinrichtung, im Jahr Drei dieser superbesonderen, hyperaxklusiven Germano-Pandemie.
Zugleich die Dauer des Aufenthaltes: es dauerte dreieinhalb Stunden. Weniger war es in der Notaufnahme so geschäftig gewesen, da war ich nach einer halben Stunde durch. Aber in der Chirurgischen verrannen die Stunden. Als ich irgendwann endlich mal aufgerufen wurde, verstand ich auch, warum die nicht in die Pötte kamen. Da wuselte die Belegschaft bedeutungsscheinschwanger von einem Behandlungszimmer zum nächsten, machten auf wichtig oder unheimlich engagiert. Nicht nur ein Hauch von Wichtigtuerei. Irgendwie kam da nichts bei rum, nur Show und abwechselndes Starren auf den PC und die Fallmappen. Wenn sie sich mal ein bisschen ihren Patienten wie mich zuwandten, war von insgesamt fünf (!) Pflegern, Pflegerinnen, Assistenzärzten usw. die einzige Frage: „Sind Sie gegen Tetanus geimpft??“ Fünf Mal. Beim fünften Mal war ich genervt und schleuderte ihnen ein entsprechendes „Jaaa!“ entgegen. In Gedanken ergänzte ich: „Übrigens, ich hab da ´ne Wunde.“ oder „Wann kommt die Frage nach der Corona-Impfung?“ Zum Glück kam die nicht. Dafür fünf Mal die Tetanus-Frage. Ich bin Loriot...
Bis dato immer noch das Bangen um meinen Zustand. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt die Hand einfach still gehalten, und ich wusste nicht wirklich, wie tief der Schnitt gegangen war. Es pochte unter dem Druckverband. Ich musste nur wissen, ob es nur das Fleisch war oder eine Sehne – dann wäre ich wirklich k.o. gewesen, 10 Tage oder mehr zu Krankenschein verdonnert und Sehnenverletzung. Nicht gut. Chef würde toben. Ich hatte ihn natürlich gleich telefonisch informiert. Großes Seufzen am Rohr. „Ja, ich weiß, ich find´s auch scheiße.“. Dann, nach drei Stunden, endlich die Behandlung und der entscheidende Moment. Druckdiagnose der Finger. Keine Ahnung, wie man das nennt, aber man soll Daumen und die anderen Finger gegen ihre drücken. Wenn es geht, ist es nur Fleisch. Wenn nicht, die Sehne.
Es ging.
Das hieß für mich: Mund abputzen, weitermachen - ein Oli Kahn obendrauf. Die Hand funktioniert noch so halb, das reicht. Der Schnitt wurde genäht. Kompresse, Verband, … Krankenschein. Ich erwähnte gleich, dass das nicht geht. Die Näherin zuckte nur mit den Achseln. Wäre meine Entscheidung. Ja, danke, endlich mal jemand, die mir nicht reinredet. Also kehrte ich auf die Baustelle zurück und arbeitete weiter, bis spät abends. Musste sein. Konnte sein.
Jetzt, zwei Wochen später, bin ich die Fäden und das Gewickel um die Hand endlich los. Da sind jetzt nur noch eine flache Rinne und sechs Punkte in der Haut. Sehr gut. Ich hatte Blut an den Händen. Melnyk ebenso, aber nicht sein eigenes, und er tanzt auf den Gräbern, die die Brückenbombe geschaufelt hat oder die im Krieg auf russischer Seite zu beklagen sind. Vielleicht noch die eigene Bevölkerung, der seine Asow-Freunde als Schutzschild missbrauchte.
Dieser Kaffeekränzchen-Faschist. Und wir rollen ihm noch den blutroten Teppich aus.
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