„Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!“ -Johann Wolfgang von Goethe, "Der Erlkönig"
Das Interessante am Erlkönig ist in der Ausgestaltung und den Querverweisen, die sich auf die aktuelle Lage anwenden lässt. Der Erlkönig in Gestalt des Staates, der des Vaters Kind mit Gewalt versucht an sich zu reißen, stirbt letztendlich und stürzt den Vater (und wahrscheinlich den Geist selbst) in tiefe Trauer. Das Kind des Volkes wurde Opfer der gewalttätigen Ermächtigung, und der Vater als Inhaber eines realistischen Blickes kämpft mit dem Erlkönig um den Erhalt seines Kindes in der Bodenständigkeit, es aber ganz verliert.
Ob es nun aus der Perspektive des „Teams Vorsicht“ oder der der „Querdenker“ zu betrachten ist, wird wahrscheinlich eine Sache der Perspektive bleiben. Aus meiner wird die These, ergo die angebliche Halluzination des Kindes, zur tödlichen Realität. Das Zerren, die Versuchung, in das Reich des Geistes einzutreten und sich von dessen Töchtern verwöhnen zu lassen, könnte ein Verweis auf staatliche Obhut sein, nicht im Schoß seines Vaters zu verweilen, weil der scheinbar keine derartigen Freuden zu bieten hat, keine singenden und tanzenden Töchter.
Erst kommt die Idee, dann der Appell und letztlich das Gesetz bzw. die Gewalt. Natürlich lockt das Reich nicht mit Strafen und Folter, sondern mit den schönen Dingen. Es klingt verlockend, sich dem Schoß des leiblichen Vaters zu entziehen und ein Leben in der Wonne der Töchter und goldenen Gewänder zu führen, und doch sieht der Vater den Erlkönig erst, bevor er sein Kind tatsächlich an der angeblichen Halluzination verliert. So verlieren wir auch einen Großteil des Volkes am Staat, der weiß Gott welche Versprechungen und Appelle an es richtet. Doch der Widerwille des Vaters wird zum tödlichen Kampf.
So zeichnet es sich schon seit geraumer Zeit, natürlich seit Ausrufung der Pandemie. Sogleich erfährt man nichts über die Gründe für des Erlkönigs Motivation, das Kind in sein Reich zu ziehen – beim Staat sieht das schon anders aus. Der Staat braucht das Kind für den Ausbau seines Reiches und die Mehrheit für die Durchsetzung seiner Ziele. Der Vater ist indes die Barriere, der Widerwille. Und den gilt es zu brechen.
Der Staat wird aller Voraussicht nach weiter nach uns fordern und ist schon länger über den Punkt der Appelle hinaus. Ob es nun die parolenhafte Solidarität ist, der Aufruf zum Impfen, die Ratschläge zum Energiesparen oder weitere gedankliche Eingriffe in die Unverletzlichkeit des privaten Raumes, ist zusammen genommen ein Sinnbild für die Motivation des Geistes, das Kind an sich zu binden. Doch wenn die Versprechungen nicht fruchten, wird aus diesen Appellen die Gewalt, der Zwang, das Gesetz. Und wird so nur Frust, Wut und noch mehr Widerwillen erzeugen, bis die Eskalation von Willen und Widerwillen nur Verlierer fabrizieren wird.
Ob diese Effekte nun unmittelbar eintreten oder nur langsam durchdringen, dürfte nicht den Ausschlag darüber geben, ob das Recht auf einer Seite verbleibt. Nur weil eine Erzählung länger einem Lager zugesprochen werden kann, ist nicht der Anspruch auf die Wahrheit, und irgendwann werden sowieso Dinge öffentlich besprochen werden müssen, die man vorher partout nicht hören und sagen wollte. Der wahre Verlierer ist oft die differenzierende Moral und nicht der Anspruch auf eine allumfassende Moral. Und die stirbt mit dem Kind, was nur in einer Tragödie enden wird, wenn das Gezerre nicht aufhört.
Ich selbst sehe mich im Grunde eher auf der Seite des leiblichen Vaters, auch wenn mein Pendel argumentativ eher zu den Kritikern ausschlägt. Der Lauf der Zeit hat mir insofern recht gegeben, dass man – wie erwähnt – im Mainstream nun Dinge besprechen muss, die Erfahrung und selbst nur grobes Halbwissen hätte dazu führen müssen, die Pandemie oder auch die Entwicklungen im Ukrainekrieg etwas ergebnisoffener und breitflächiger zu betrachten. Doch wie in letzter Zeit häufiger zu beobachten, wird zuerst eine Absicht oder eine Hypothese als unumgänglich skizziert, bis die natürlichen Fliehkräfte zumindest einen Teil dieser Erzählung als Lüge oder naive Vorstellung entlarven. Unausweichlich ist also nicht die Erzählung, sondern die Entwicklung.
Wer das nicht akzeptieren kann, will den eigens eingeschlagenen und der Masse schmackhaft machenden Weg ohne Rücksicht auf Verluste weiter beschreiten, und das führt dann zu den schlimmsten der anzunehmenden Folgen. Mit der Anwendung von Gewalt wird letztlich der Tod des Kinder unwiederbringlich die letzte, tragische Folge sein. Wir haben dabei nur die Erkenntnis gewonnen, dass sich dies nicht wiederholen soll. Doch dann stehen wir wie der Erlkönig vor den Trümmern unseres errichteten Erfolges und werden nur ein totes Kind in den Armen halten, das die Töchter nicht mehr verwöhnen können.
Wir hätten dem Kind die Wahl lassen sollen, wohin es denn gehen mag.
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