Der klassische Lebensweg. Was bedeutet das? Wahrscheinlich ist es das Leben nach Schema F: Schule, Arbeit, Familie, Enkel, Rente, Sterben. Ein systemkonformes Leben, mit vielen Pflichten, Erwartungen, Statuten. Aufgaben erfüllen, das Staatssäckel füllen, Kinderwünsche anderer erfüllen und vielleicht noch mich selbst mit fremdbestimmtem Glück befüllen. Ein Selbstbetrug und lebenslanges Kopfgefängnis, und sich in der Midlife Crisis dann doch Fragen zu stellen wie: „Was hat das alles gebracht?“
Und wie ich ihn nicht leben wollte, gelebt habe und nur in Ansätzen nun doch lebe, die Notwendigkeit des klassischen Werdegangs zu missbrauchen, um das Ungewohnte zu finanzieren und zumindest teilweise möglich zu machen. Nein, ich bin kein Befürworter des klassischen Weges, weil ich ihn überall sehe, mitverfolge, teils verabscheue. Weil er mir aufzeigt, was mich erwarten würde, würde ich ihn selbst einschlagen. Und ich sehe ihn in so vielen apathischen Gesichtern, wie sie durch die Gänge schlurfen; in leeren Augen, die sagen: „Schon wieder dieselbe Scheiße.“ oder „Mach, dass es heute schnell vorüber geht.“. Das Ausbrechen fällt ihnen mit der Zeit immer schwerer, bis sie völlig in ihrem Routinedenken gefangen sind.
So war das schon immer gewesen. Ich war ein stiller Beobachter des klassischen Weges, der nichts Evolutionäres an sich hatte, sondern den großen Traditionalismus zelebrierte. Ein Patriot zu sein, der für die Erhaltung des deutschen Volkes Nachwuchs auf Knopfdruck zeugt – das war nicht meine Welt, auch wenn ich ab und zu davon profitierte oder sie gar mochte. Das BBQ, sobald die Sonne sich zeigte, Kaffee und Kuchen, Spazierengehen.
Meine Welt war jedoch, oft nur im Kopf, eine andere. Eine egoistische Welt. Ja, ich gebe es zu: ich bin in der Hinsicht ein selbstsüchtiger Bastard.
Und nie war mir Status so wichtig gewesen, mich diesem Erwartungsdruck zu beugen und ein Kind um des sozialen Status willen in die Welt zu setzen. Stolz wie Bolle Kinderwagen durch die Straßen zu schieben. Kaffeeklatsch auf dem Bürgersteig zu ertragen: „Mein Prinz geht bald in die zweite Klasse!“. WhatsApp-Bombing: „Mein Kind hat 1,5er Abi!!!“, und das mobile Schulterklopfen für die eigene Erziehungsleistung. Dem Kind hilft so etwas kaum, nur dem eigenen Gewissen, das nächste Etappenziel im Weg nach ganz weit oben erreicht zu haben. Das Vermächtnis für die Familienchronik erfolgreich bestätigt, beste Voraussetzungen für eine Fortführung des Stammbaumes. Und vielleicht würde aus dem Schul-Genius eine gefragte, öffentliche Person werden. Ein feuchter Traum der Macht, der bei nüchterner Betrachtung eher droht zu scheitern denn erfüllt zu werden geschweige denn den Nachwuchs zu Erfüllungsgehilfen gegen das eigene Scheitern degradiert.
In letzter Zeit wird mir immer klarer, dass der Stammbaum in meiner Familie höchstwahrscheinlich nicht mehr weiterwachsen wird. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass im Verwandtenkreis genug Nachwuchs produziert wurde, der Familienname wird demnach nicht verwelken. Im Elternhaus scheint jedoch die Erkenntnis vom nahenden Ende der eigenen Verzweigung nicht gut anzukommen. Für sie ist es ein unsäglicher Akt des Scheiterns, die Enttäuschung über nicht erfüllte Erwartungen. Und selbst deren autogene Beschwichtigungen täuschen mich nicht darüber hinweg, dass jahrelang ein Warten, Harren und auch Enttäuschung darüber befand, welchen Weg ich denn einschlagen sollte. Und legitim war nur der eine – der klassische.
Hier schlug das egoistische Ich am stärksten zu und zerdepperte die Träume in tausend Fetzen. Keine schöne Sache, wenn man nur eine Spur Empathie zeigen und externen Erwartungen gerecht werden will. Doch will ich mich nicht narren lassen – das Kind nur auf der Welt, um es als Präsentierpüppchen an Oma und Opa zu reichen. Kein Wort darüber, ob das Kind unter der labilen Ägide des nicht überzeugten Papas eher leidet denn gut leben könnte. Den Großeltern wäre das egal gewesen – sie hätten auf ihre Art und Weise den Spross an sich gebunden und ihn in heuchlerischer Manier der Verwandtschaft zum Angucken durchgereicht. Und darüber hinaus dieselben Methoden der Beeinflussung angewandt wie beim defizitären Papa. Und hätte der wenigstens etwas zustande gebracht, dann ein Kind, doch selbst dazu ist er nicht fähig gewesen.
Doch möchte ich dieses Leiden und die Ambivalenz dieses Kind-seins nicht herbei orakeln. Für mich hätte es eine solide Basis für das Leben des Kindes benötigt - ob klassisch oder nicht, tut nichts zur Sache. Diese Basis bin ich, mit meinem Denken, meiner Motivation, meinen Wünschen und meiner Art zu leben, was zwangsläufig auf den Nachwuchs übergeht. Und wenn ich all das Negative aufzähle, das dem Kind mitgegeben würde, würde ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen, würde es genau so eintreffen. Manche würden von mangelnder Verantwortungsbereitschaft sprechen, aber lache ich nur über solche Anschuldigungen, schaut man sich nur um und sehe das krasse Gegenteil in Form von Helikoptereltern, die in ihrer Übereifrigkeit verwöhnte Bratzen hochziehen, oder eben Defizite anderer, wenn sie ihre Kinder verächtlich machen, in ihrer Verzweiflung anschreien oder was auch immer ihnen antun, wenn wir nicht hingucken können.
Dies ist keine Werbung für Antinatalismus, dies dient der Voraussicht und dem Schutz des ungeborenen Lebens. Als letztens der Discounter Aldi (hier konkret Bruder Nord) „spannende Menschen“ zu Gesprächen lud und dabei genau dieses Thema anpries, sollte es laut Pressemitteilung der Generation Z eine Bühne bieten. Offenkundig eine Anbiederung an neue Kundenstämme, die jetzt woke, kinderlos und nachhaltig sind – also warum keine Plattform für deren Anliegen anbieten? Aldi – das war mal der Ali-Laden, der PC-Verscherbler, der heute auch deren potentielle Abnehmer, also Gamer mit dürftigem Kontostand, als reine Pizza-Verdrücker klischee-isiert.
Da haben sich wohl zwei Richtige getroffen – die Social Media-Redaktion und „spannende“ Influencer gleichen Schlages, die jedoch Klischees bedienen, wo allerlei Fettnäpfchen zu vermuten sind. Die ungesund kulinarisierten Fast Food-Zocker, die Neuentzündung altdeutscher, kinderfeindlicher Tugenden als Imagekampagne für diese so spannende Generation, die alles ablehnt, was man irgendwie dem klassischen Lebensweg zuordnen würde.
Ob ich mich durch diese abstrakte Gleichdenke mit dieser Generation gemein mache? Klare Antwort: Nein.
Meine Entscheidungen – also zuvor mein eigener, pubertätsschwangerer Antinatalismus in jungen Jahren und später das Bedauern über das Verpassen der selbstdefinierten Gelegenheit – sind nicht kinderfeindlich, sondern einfach nur die Sorge darüber, sich solchen Theos und Ida Maries ausgesetzt zu sehen. Die im jungen Alter schon dieselbe Grummelfresse aufsetzen wie der alte Schiebermützen-Heinz, der sich schon damals über Kindergeschrei auf dem Spielplatz beschwerte, wenn die behördliche Mittagsruhe nicht eingehalten wurde. Heute ist es ihnen schon zu viel, krakelige Bilder an den Kühlschrank zu hängen.
Ob sie selbst ähnlich argumentieren wie ich, wage ich sehr zu bezweifeln. Immer häufiger liest man von einem Nihilismus einer Generation, die der selbst kreierten Klimaapokalypse keinen Nachwuchs aussetzen wollen, oder dass nicht erfüllter Geschlechterwunsch Mütter in tiefe, Feminismus-getränkte Depressionen und das (männliche) Kind gleich als Dauergast in die Psychiatrie befördert. In mir breitet sich ein Ekel über solches Denken aus, der eher aus Rücksicht seinem eigenen, etwas verkorksten Lebensweg geschuldet eine Geburt ablehnt denn aus dieser ideologischen, bösartig-woken und menschenfeindlichen Motivation heraus. Vielleicht ist es aber auch nur reine Bindungsangst, den Status des „global citizen“ zu verlieren und an Haushalt und Job doppel-gekoppelt zu werden, statt die eigene Vorstellung von „the world is my home“ weiter ausleben zu können.
So schlösse sich der Kreis vom Systemmenschen, der durch Familie und 40-Stunden-Job an den klassischen Weg gebunden wäre. Dass sie das nicht wollen und ich ebenso, wobei ich dem nicht völlig verschlossen bin, ist eher dem Zufall geschuldet – den Unterschied sehe ich darin, dass ich (vielleicht zu spät) doch umgedacht hatte und meine eigene Vita als Entschuldigung für die Nicht-Erfüllung der Erhaltung des deutschen Volkes vorschieben kann. Die Generation Z jedoch ist eine überzeugte, ideologisch sozialisierte Kaste, die sich selbst als progressiv definiert, aber viel zu oft alte Tugenden reaktiviert, die die Boomer und Generation X nicht mehr um sich haben wollten. Obendrauf eine Miesmacherstimmung, die sie nur noch durch T-Shirt-Drucke und Social Media-Hetze nach außen tragen oder eben in ihrem geistigen Rückzug nur durch entsprechende Imagekampagnen durch die Geschwister im Geiste bei Aldi Nord in die Welt posaunen können.
Wenn die öffentliche Kampagnenstrategie also vorsieht, solchen Leuten eine Öffentlichkeit zu spendieren und die Übergriffigkeit des woken Zeitgeistes meinen eigenen Vorstellungen von Erziehung zuwiderläuft, kapituliere ich. Das müsste schon ein hartgesottener Knochen sein, den ich in die Welt entlassen würde, und das traue ich mir nicht zu. Meine Erziehungsmethoden wären sehr auf Harmonie und Eigenständigkeit beruhend aufgebaut, und dass man damit einem Kind keinen Gefallen tut, wenn andere Menschen wie aus dieser Generation Z im Spiel sind. Das konnte man nicht vorausahnen, aber ich bin froh über meine Entscheidungen.
Wie würde ich mich sorgen, mitanzusehen, wie mein Balg dieser Misanthropie ausgesetzt wäre, vielleicht gar als Auslöser für die Hasstiraden der „Ich hasse Menschen“-Textilanten gesehen würde. Der keine ruhige Minute hätte, an den Armen gezogen von all den progressiven Weltverbesserern und Gesellschaftszerstörern. Hätten sie ihn bekehrt, wäre der Stammbaum in unserer Verästelung eine Generation später verdorrt, und wenn nicht, wäre nicht nur seine persönliche Laufbahn eine Achterbahnfahrt sondergleichen geworden, inmitten von Krisenherden, die nicht nur unter Waffenanwendung auf dem Balkan oder am Donbass aufgeheizt würden, sondern hier – mitten unter uns; stolpernd über den Gehwegen, die eine hoffentlich letzte Generation in seine Einzelteile zerlegte, unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Klima- und Gesundheitsapokalyptiker den Kopf einziehen zu müssen. Kein schönes Leben, und wir wissen heute schon, wie sich das lebt.
Es wäre ein Leben in Verboten, in Pflichten, in psychischer Abhängigkeit gegenüber einem Narrativ, das wenig gemein hat mit dem Gedanken von Freiheit und persönlicher Entfaltung. Vielleicht ist das wieder der klassische Weg, mit Rollenzuteilungen, dieses Mal nur gespiegelt im Sinne queerer Existenz, vielleicht sogar einer Kurzeinordnung als Frucht von per se suspekten Cis-Menschen. Und mag diese woke Zunft sich noch so progressiv nennen – sie ist rückständiger, als sie jemals zugeben würde.
Also sehr klassisch. Vielleicht zu klassisch. Und in solchen Zeiten möchte ich mein Kind nicht aufwachsen sehen.
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Ratze (Freitag, 06 Mai 2022 21:55)
Kommt mir irgendwie bekannt vor, dieser Gedankengang... geht mir nämlich ziemlich ähnlich.
Sascha (Samstag, 07 Mai 2022 10:45)
@Ratze
Danke, und ich dachte, ich stehe damit alleine...