un waren die letzten Tage und Wochen, nachdem Anne Spiegels sehr zweifelhaftes Verhalten bezüglich der Krisenkommunikation in der Flutnacht im Ahrtal ans Licht gekommen war, nicht mit dem zu vergleichen, wie man es von vergleichbaren CDU-Äquivalenten bisher gekannt hatte. Ein Jens Spahn oder Andreas Scheuer reagierten weitaus, na ja, professioneller und wussten wahrscheinlich sehr wohl, wie sie ihre Verfehlungen unter der Decke halten konnten, ohne dass es besondere, politische Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Letztlich haben nur die Wähler durch Laschets Lacher dafür gesorgt, den Kandidaten und darüber hinaus die ganze Partei abzustrafen.
Die Macht der Gewohnheit wurde in diesem Fall ziemlich durcheinander gebracht, selbst die Alten bzw. Stammwähler wollten ihr Kreuz nicht mehr dort machen, wo sie es bsiher wie gewohnt getan hatten. Nun haben wir eine rot-grüne Regierung mit Gelbtupfern an der Macht, die nicht nur sich selbst mit einer „Zeitenwende“ in Verbindung bringen, sondern auch bei den Bürgern zum Wahlabend einen Vertrauensvorschuss erhielten, nötige Änderungen auch endlich auf den Weg zu bringen.
Abgesehen von ein paar TV-Kommentaren ist Anne Spiegel jedoch bisher kaum in Erscheinung getreten. Selbst in ihrem Amt als Umweltministerin von Rheinland-Pfalz war sie der Öffentlichkeit kaum bekannt. Das änderte sich schlagartig mit der Flutkatastrophe – selbstredend wird nach solchen Ereignissen auch das Ressort stärker beäugt, die Suche nach Schuld und Verantwortung nimmt in sensationsheischender Manier ihren Lauf. Lange war nichts mehr zu hören von den Auswirkungen auf die Region. Klar war nur, dass schon die unmittelbaren Aufräumarbeiten kein Musterbeispiel an behördlichen Entscheidung waren, was etwa der Landwirt Markus Wipperfürth mit seinen Videos eindrucksvoll dokumentierte.
Es dauerte nicht lange, bis die Suche nach Verantwortung beim zuständigen Katastrophenschutz und dem übergeordneten Landrat landete. Dessen Reaktionen schienen schon zu irritieren – der trat die Flucht nach vorne an und kritisierte mitunter gar die Ermittlungen gegen ihn. In einer Situation in der etliche Familien um ihre Toten trauern müssen oder nach Verlust ihres Hab und Gutes um ihre Existenz fürchten, war schon dies ein Affront gewesen, sich derart der Verantwortung entziehen zu wollen, doch sollte im Kontext um die Causa Spiegel dessen Anteil am desaströsen Krisenmanagement bis zur abschließenden Klärung offen gehalten werden.
Ob Anne Spiegel als oberste Führung in solchen Fällen nun endgültig als Verantwortliche auszumachen ist, lässt sich vom Standpunkt des einfachen Bürgers nur schwer recherchieren. Fakt ist jedoch, dass man sich mancherorts autonom organisieren musste, um die Orte wieder einigermaßen bewohn- und befahrbar zu machen, was nicht für eine durchdachte Strategie der Behörden spricht. Von Betroffenheit der Minister und Ministerinnen können jedenfalls keine Flutschäden beseitigt werden.
Es wäre also angebracht gewesen, von oberster Stelle Entscheidungen zu formulieren, Dinge in die Wege zu leiten, alles Nötige zu organisieren und den Menschen vor Ort sichtbar zu helfen. Nun stehen die Aussagen Anne Spiegels auf dem Papier, wie ihre Presseerklärung, die bisher nur ihre Person und ihre Familie betrafen. Die Erklärungsversuche wirkten wie ein kläglicher Versuch, irgendeine Rechtfertigung für ihr Scheitern zu suchen. Darüber hinaus auch noch offenkundig souffliert. Wenn ihr Mann, wie sie offen schilderte, wegen eines Schlaganfalls Ruhe brauchte und ihre Kinder scheinbar nur schlecht durch die Pandemie gekommen waren (das könnte schon als eigenes Thema zu Kollateralschäden taugen), ist ein vierwöchiger Urlaub für sich betrachtet eine gute Sache.
Doch stellen sich in dem Zusammenhang mehr Fragen als sie beantworten. Warum hat Frau Spiegel denn überhaupt das Angebot der Bundesfamilienministerin angenommen? Wenn ihr die Familie so viel am Herzen liegt – wieso ging sie dann für die Karriere nach Berlin? Dachte sie, sie könne das alles zusammen managen? Und wirft dies dann nicht schon ein schlechtes Licht auf ihre Fähigkeit als verantwortliche Krisenmanagerin, privat wie beruflich?
Immerhin hat dieses Versagen 134 Tote gefordert. Das ist ein hohes Maß an Verantwortung, das auf ihre mangelnden Fähigkeiten lastet. Also wirken solch verwirrende Aussagen wie der der Familiensituation im Hause Spiegel unter der Erwartung des Effektes der mitfühlenden Akzeptanz in der Abwägung wie ein Faustschlag. Abgesehen von der Inszenierung ihres Pressestatements, der wohl auch von den Planenden so nicht gedacht war, muss man sogar den Vorwurf in den Raum werfen, dass ihr die Leute im Ahrtal egal zu sein schienen. Nun haben wir also den Vergleich vor Augen, auf den viele gewartet haben: die sich seit Jahren an der Macht eingeschlichene Kaltschnäuzigkeit von Altparteien wie der CDU steht den Grünen gegenüber, die sich offenbar mit tränenden Kulleraugen aus der Affäre zu ziehen versuchen. Die geleakten SMS-Mitteilungen widersprechen dem zusätzlich – Wording, Gendern und die Imagepflege hatten Vorrang vor Räumfahrzeugen und Seelsorge.
Bei allem Verständnis für die schwierige Familiensituation steht dem jedoch ein wichtiges Amt entgegen, das in keinster Weise rechtfertigt, wenn die privaten Verhältnisse nicht so sehr auf Rosen gebettet sind wie erhofft und das einer Amtsausübung im Wege steht. Die Offenbarung über jene Verhältnisse können schlicht nicht in die Waagschale geworfen werden, um so viele Tote und existentiell Bedrohte wegzuwischen. So irritierte ebenfalls das Statement der Grünenführung aus Husum, die sich ebenfalls nur auf die Person Spiegel bezogen, sie ihr sogar eine „tolle Arbeit“ attestierte. Spätestens jetzt wäre ich als betroffenes Flutopfer wütend geworden, weil sich das Theater um eine Person wichtiger darstellte als Hilfegesuche aus zerstörten Dörfern. Das gilt auch ein Jahr danach noch als relevant.
Was bleibt, ist der Eindruck einer Partei und einzelnen Mitgliedern, die lieber um sich selbst kreisen als ihrer Verantwortung für Wähler und Bürger nachzukommen. Dass die Grünen nun in ihrem Erfolgstaumel, stärker als bisher reihenweise in die Parlamente einzuziehen, ist dem Zeitgeist geschuldet, verkennt aber auch die Probleme, die sich in der Vergangenheit aufgetürmt haben und die es zu lösen gilt. Mit Klimaforderungen konnte man bisher noch sehr punkten, doch auch schon ein halbes Jahr nach den Bundestagswahlen wird klar, dass die Erfolgstrunkenheit schnell durch die Realität Kopfschmerzen verursacht. Dass Anne Spiegel diesen Erdrutschsieg noch mitnahm und sich sogleich in ein staatliches Ressort hieven ließ, mag ihren Karriereplänen sehr gelegen gekommen sein, doch wie immer wird man nicht daran bemessen, welches Amt man bekleidet, sondern was man darin leistet.
Dass ihr dabei ihr Image wichtiger schien als selbstlos oder zumindest pflichtbewusst Hilfe anzubieten und zu organisieren, ist nicht nur ein Faustschlag, sondern ein Nachtreten aus niederen Beweggründen – trotz oder gerade wegen des Einnehmens der Opferrolle. Das hatte nicht mal die CDU in der Form hinbekommen und zeichnet nur eine neue Qualität eines unsäglichen Verhaltens der Politik gegenüber ihren Bürgern. Die ganzen Empathie- und Solidaritätsfloskeln haben hier keine Bedeutung mehr, und es scheint ihnen in dem Moment wichtiger, die Ideologie nicht durch Selbstkritik zu gefährden. Der Blick in den sprechenden Spiegel interessierte Frau Spiegel also mehr als das Wohl ihrer Bürger.
Kaum verwunderlich, dass in den sozialen Medien Anklagen über angebliche Kampagnen laut werden. Sexismusvorwürfe seitens extremer Feministinnen standen wie gewohnt Gewehr bei Fuß. Und der Parteiführung war nun weiter wichtig gewesen, die Paritätsvereinbarungen einzuhalten, so wird nun wieder eine Frau die Nachfolge antreten. Man kann wohlwollend behaupten, dass es nicht schlimmer werden könnte, aber in dieser Hinsicht sind wir schon einiges gewohnt. Auch hier werden sicherlich nicht die Sektkorken knallen, weil man das Mann-/Frau-Verhältnis so konsequent eingehalten hätte – das kann bei entsprechender Ereignislosigkeit so lange gut gehen wie von der Parteiführung erhofft. Bis dann die nächste Katastrophe nach Führung und Handeln verlangt.
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