Offen gestanden bin ich leer. Leer wie die Flasche Fusel, die ein Säufer über dem offenen Mund schüttelt, damit noch die letzten Tropfen in den Rachen gelangen. Wie sich das im Kopf anfühlt, kann man nur schwer in Worte fassen, aber es kreist so vieles um so vieles. Es lässt sich schwer ordnen, man fühlt sich erschlagen von dem Riesenklumpen, der seit zwei Jahren angewachsen ist, und es fällt immer schwerer, das Wichtige für einen selbst vom Unwichtigen zu trennen. Bald hast du also diesen monströsen Knäuel an Herausforderungen und Einzelproblemen auf die Schulter gepackt und bekommst ihn nicht mehr los.
Wenn dann noch jede öffentliche Entscheidung den Klumpen sprunghaft vergrößert und du keine Möglichkeit hast, dies für dich selbst ein bisschen zu ver- und abzuarbeiten, wird eher die Frage von Belang sein, wann du entweder Tabula Rasa machen oder irgendeinen extremen Befreiungsschlag in Augenschein nehmen solltest. Irgendwie muss man sich der Last entledigen, sonst macht es dich kaputt. Das Problem ist dabei der eigene Kopf, wenn er einfach nicht aus dieser Spirale herausfindet. Das kann ein Karl Lauterbach sein, der einfach nicht aus seinem widersprüchlichen Handeln herausfindet, oder du selbst, wenn dessen Handeln dich persönlich immer mehr in die Enge treibt. Wer nun die Schuldfrage anbringt: damit anders umzugehen ist eine Sache, aber das bedingt auch eine Beständigkeit der Lage, mit der man konfrontiert wird und die Möglichkeiten, sich dem zu entziehen.
Dass der „Freedom Day“ hierzulande keiner wird, war fast zu erwarten gewesen. Man klammert sich dann noch an ein paar Fetzen Hoffnung, dass es irgendwie anders verläuft, aber nun tritt das ein, was die ganze Zeit schon geschieht – locker zu werden, besonnen zu werden, endlich mal verbal abzurüsten wird einfach weiter nach hinten verschoben. Und das auch wohl unter dem Kalkül, dass man nicht wenige Deutsche hinter sich wähnen darf, die den Scheiß auch noch freudig mitmachen. Wenn man mit dieser Gewissheit leben muss, bleibt einem fast nur noch die Wahl letzter Lösungen. Da hilft auch der Alltag nicht mehr viel zur Kompensation, bei der Arbeit läufst du Gefahr, unkonzentriert zu sein, weil dir das Paket auf dem Rücken die Leichtigkeit raubt. Je schwerer, desto schwieriger.
Am schlimmsten ist es, wenn um dich herum alle Masken im positiven Sinne fallen. Wenn die Menschen wieder leben können, ohne Maßnahmen, ohne Bevormundung, ohne Pflichten, die man sich so legt, wie man sie für sich selbst braucht und haben will. Die Willkür hat wieder Einzug in dieses Land gehalten, und irgendwie spürt man im Hinterkopf die Augen des Spottes und des Argwohns aus dem Ausland. Es lässt sich nur schwer erfassen, weil man hierzulande nur mit nüchternen Ankündigungen aufwartet, dieses und jenes Land hat weiter gelockert, und nachdem man ja eigentlich gewohnt war, die Wirkung Deutschlands im Ausland via internationale Pressestimmen nachzuverfolgen, liest du heute nichts mehr darüber. Man kann davon ausgehen, dass es verheerend ausfiele, würden sie es tun.
Bisher habe ich mich dem Fatalismus nicht anschließen können und wollen, weil ich mich eben diesem immer breiter aufkommenden Kritikkonsens angehängt und gedacht hatte, das wäre jetzt die breitere Masse, die uns endlich zurück in die Freiheit führen könnte. Doch falsch gedacht, weil eben wieder jene an den Schalthebeln sitzen, die dir jedes Horrorszenario unterjubeln können, ohne dass man es einfach abstellen könnte. Nein, im Gegenteil. Du wirst weiter damit drangsaliert, „bis zum bitteren Ende“, kam es doch aus Macrons Munde. Und als wäre das nicht genug der schmerzhaften Dauerpenetration, lockert Frankreich jetzt deutlich (wenn auch aus Wahlkampfgründen), und wir zurren die Schlinge locker-flockig weiter zu. Das einzige, was hier locker ist: die Muskelkraft, die Schlingen zuzieht. Mühelos, ohne Unrechtsbewusstsein. Alles andere ist der exponentielle Anstieg von Verbohrtheit und die nicht abklingen wollende Welle von Schisshasenmentalität. Kein Peak in Sicht, geschweige denn eine Kurve nach unten.
Da kannst du mit weisen Sprüchen aufwarten, wie du willst – es hilft nichts. Die da oben haben den Kopf schon lange zuvor zugemacht und wälzen ihre Panik in allen Farbschattierungen auf uns ab. Das kann man in Deutschland auch besonders gut: Verantwortung abwälzen, sich eine weiße Weste erstinken und erlügen. Sich Optionen offenhalten, mit juristischen Winkelzügen unangreifbar machen. Ja, das können „wir“ (also ich nicht), sehr gut. Das mag clever sein, aber nicht intelligent. Doch ist jetzt Cleverness das Maß der Dinge, sich irgendwie positionieren, es machtvoll rechtfertigen und dann auch noch ohne oder milde Konsequenzen daraus hervorgehen. Es ist nichts mehr fair in diesem Land, Profit und Profilierung höchstes Gut geworden. Und so wurde nun ein Gesetz wieder mal so durchgewunken, dass wir uns die ewige Leier scheinbar in den Paragraphen verewigt hätten.
Nein, auch das ist nichts Neues, ich weiß. Und hätte ich viel Zeit gehabt, mir das selbst anzutrainieren und fein raus zu sein. Aber so bin ich nicht, das ist nicht mein Wesen, und wenn das bedeutet, dass ich ständig abgewatscht, fertiggemacht oder sonst wie ausgemustert werden kann, dann muss ich nun endgültig die Frage aller Fragen stellen: Macht es noch Sinn, hier zu leben? Meine Motivation, hier noch die restlichen Tage zu verbringen, ist wie die Flasche Fusel – leer.
Kommentar schreiben