Des Morgens von Explosionen lesen zu müssen – das ist mir seit dem zweiten Irakkrieg nicht mehr untergekommen. Mir verursacht so etwas nur Herzstolpern, weil: Krieg ist scheiße. Einfach so, weil es viele Menschenleben kostet. Leid verursacht. Die Wahrheit begräbt.
Besonders stört mich demnach nicht nur der Akt des Krieges, der jetzt einzutreten scheint, sondern auch das Kriegsgeheul im Vorfeld, und als ich gestern unbedingt „Viertel nach Acht“ bei BILD-TV wegen Katrin Seibold schauen wollte, wollte ich eigentlich nichts über die Ukrainekrise hören. Doch da war dann Paul Ronzheimer zugeschaltet und behauptete da Sachen über Putin, die so schrill und hanebüchen klangen, dass ich ihm am liebsten durch den Bildschirm eine geschmiert hätte. Nicht, dass er nur darüber berichtet hätte, was vor Ort in Kiew so los ist, sondern dass er sich tatsächlich in Rage redete, wie man das vom Twittermob so kennt, wenn mal wieder eine Kontroverse zu persönlichen Beleidigungen führt.
Die BILD verdreht sich also beim Thema Ukraine wieder in alte Muster und ist auch freiwillig dabei, an vorderster Front ihr übles Kriegsgeläut zu verkünden. Was mich angeht: ich fühle mich überhaupt nicht gut informiert ob der Entwicklungen in der Region, was Putin nun getan oder gesagt haben soll – ich fühle mich also auch nicht dazu verpflichtet, für irgendwen Partei zu ergreifen. Doch ich sehe auch, wie die Gewichtung der Meldungen dazu führen, Putin mit aggressivsten Parolen als Aggressor darzustellen und jeden Satz auf die Goldwaage zu legen. Irgendwelche Territorialansprüche werden dann als völkerrechtswidrig angesehen, das vom Westen (natürlich) zum Anlass genommen, noch schriller als zuvor dagegen zu wettern. Das sind momentan die Infofetzen, die ich so vor mir hertrage, und wie häufig bin ich an dem Punkt, dass ich lautes Gekeife zuerst als Schaumschlägerei und damit als unwahr oder zumindest zweifelhaft einordne. Ich halte es dabei wie immer: Wer schreit, lügt.
Irgendwer da draußen wird mir dann wieder vorwerfen, ich würde die westlichen Werte nicht vertreten und mich Demagogen zugeneigt fühlen. Ich weiß nur, dass ich mich keinem gemein machen will, vor allem auch nicht, weil mich auch der Westen böse enttäuscht hat. Es gibt da keinen Wertewesten, der moralisch so überlegen wäre, dass ich mich ihm ungefragt anschließen würde. Auch ein Putin ist mir egal. Oder sonstige Despoten und Alleinherrscher.
Ich weiß nur eines: Krieg ist scheiße. Egal, wer ihn vom Zaun bricht, unterstützt oder ungefragt abnickt.
Vorzugsweise fühle ich mich lieber betroffen von dem inneren Krieg, also der, der schon länger vor sich hin köchelt. Der mich auch direkt betrifft. Deswegen nehme ich jede Lockerung der Corona-Regeln dankbar an, und ich bin zufrieden, wie wir uns mit unserer Politik immer mehr ins Abseits feuern. Da kann dat Karlchen noch so stur und/oder empathisch erscheinen – jede Kritik an ihm ist mir eine Wonne. Wer so viel Energie verschwendet, mich für meinen Impfstatus so fertigmachen zu wollen, dem gehört´s nicht anders. Punkt. Und jetzt, wo man noch den BKK-Hammer mit den Impfnebenwirkungen hinzu serviert bekommt, verliere ich auch die letzten Ambitionen, mich zur Spritze zu bringen. Alles, was den Erlöserstatus der Impfung zum Erliegen bringt, ist mir recht.
Ja, ich habe nicht selten gewankt, es doch zu tun, und sei es nur, um endlich Ruhe zu haben. Aber irgendwas tief drinnen ermahnte mich immer wieder: Tu es nicht. Es wird dir nicht guttun. Bauchgefühl. Grummeln. Böse Vorahnung. Wenn der Geist die Taten prophezeit. Diese zwei Jahre waren mir die beste Lehre meines Lebens. Vor allem, weil ich trotz des Wankens nicht eingeknickt bin. Ich bin stolz auf mich.
Mittlerweile gehört viel dazu, nicht einzuknicken. Häufig ist man in der Dualität gefangen, zwischen Eigenanspruch und Kollektiverwartung. Wann ist welche Einstellung gerechtfertigt? Gerade in dieser Woche ist mir wieder bewusst geworden, dass man sich immer situationsbedingt verhalten sollte. Dass die Skepsis, die du in der Politik haben solltest, nicht als Selbstschutzverhalten gegenüber deines Teams bei der Arbeit angewendet werden sollte. Vor allem, wenn sie dich so sehr unterstützen. Und nicht die verfahrene Situation, eher skeptisch zu werden, weil du so skeptisch bist, umgekehrt genauso; Und du das alles nur so handhabst, weil du es dir angewöhnt hast. Weil es notwendig war, weil du wieder dieses Bauchgefühl hattest und es wieder eingetreten ist. Weil du bemerkt hast, wie scheißfreundlich sie sich Honig ums Maul geschmiert und hintenrum übelst abgelästert hatten. Ob dein Verhalten dann Ursache oder Wirkung bedeutet, ist letztlich unerheblich.
Die Situation habe ich jetzt nicht mehr. Irre. Da gewöhnst du dich fast schon daran, dass die Gesellschaft eben ist, wie sie ist, und dann kommst du auf diese Insel, wo es so läuft, wie du es gerne mal gehabt hättest. Was du dir irgendwann nur noch als Wunschdenken im Kopf erhalten hattest, weil es in der Realität sowieso nicht gelebt würde. Was du vielleicht betrauerst wie alte Zeiten, in denen du mal glücklich warst und du nicht mehr erwartest, sie noch mal erleben zu dürfen. Und an dem Punkt bin ich jetzt wider Erwarten wieder, habe jetzt mal ein kleines, fast schon erschreckend offenes Gespräch mit meinen Chefes führen können. Dazu steht bald noch das Ende der Probezeit an, das vielleicht im offiziellen Modus die nüchterne Schiene fährt. Mit Beurteilungsblatt. Aber ich es im Gefühlsuniversum sehr leicht nehmen kann. Nicht, weil ich mir sicher wäre, überzeugt und somit die Probezeit bestanden zu haben, sondern weil es als Ersteindruck Höhen und Tiefen gab und wir ungeschönt darüber reden konnten. Mehr habe ich mir gar nicht gewünscht. Wie die Beurteilung jetzt demnächst ausfallen wird? Schaun mer mal...
Das ist der innere Krieg, den ich mit mir selbst führen muss. Klar – man will etwas Sicherheit in unsicheren Zeiten, und ich habe unabhängig von der Pandemie gedacht, dass ich es endlich erreicht hätte. Dass ich nur noch die passende Kulisse für mein Leben bräuchte, etwa einen Arbeitsplatz, der dich nicht allzu sehr bindet und du dein privates Reich damit aufrecht erhalten kannst. Dann kam Corona. Und da war es wieder, dieses Bauchgefühl. Anzunehmen, das wird etwas Einschneidendes, wenn es sich in die Maßnahmenfalle manövriert. Und es kam so, wie wir alle wissen. Keinen echten Ausweg mehr, da ist etwas gekommen, um zu bleiben.
Wie also damit umgehen? Es permanent bekämpfen? Dafür bin ich nicht konsequent genug. Sich dem ergeben und alles mitmachen? Dafür bin ich dann doch wieder zu stur und freiheitsliebend. Also suchte ich Wege, so viel normales Leben wie möglich zu leben. Und wir konnten es uns zumindest teilweise erhalten. Verreisen, Essen gehen, sowas. Das ging tatsächlich, aber eben weniger in Deutschland. Es hatte schlicht wenig Stellenwert, es war entbehrlich geworden. Und das erschrak mich, dass man dem keine (oder kaum) Notwendigkeit zumaß. Dass wir auf Funktionalitätsmodus heruntergefahren und alles mehr oder weniger willkürlich abgeschaltet werden konnte. Kein Spaß, keine Entspannung, keine eigenen Entscheidungen mehr, nur noch arbeiten und zuhause rumhängen. Oder zuhause arbeiten und rumhängen.
Also holten wir uns unser „dolce vita“, wo es nur möglich war. Doch gerade das letzte Jahr zusammengenommen war das schlimmste gewesen, auch wenn wir fast drei Wochen Italien-Urlaub durchziehen konnten, um wenigstens etwas abzuschalten. Die komplette Zeit um den Urlaub herum war nur Corona-Routine. Lästiges Austarieren von Maßnahmen und Beschlüssen. Tag, Kunde, darf ich kommen? Was muss ich tun, um meine Arbeit machen zu können? Darf ich überhaupt kommen, wenn ich nicht geimpft bin? Feierabend, heimfahren, Glotze, schlafen, arbeiten. Im Winter ganz schlimm. Kein Spazierengehen, eisige Kälte, 80 qm wohlige Wärme, darüber hinaus nichts. Für ein Sommerkind ein Horror. Warten auf Frühling. Mindestens drei Monate Lagerkoller, Dezember bis Februar/März. Eine aufwandsintensive Routine, draußen Privilegienleben für Geimpfte. Nicht dass man da neidisch wäre, weil es andere dürfen, sondern wütend über die, die es so entschieden haben. Es ist mir wichtig, das zu unterscheiden, weil ich nicht erwarte, von den Privilegierten Gnade oder einen mir zugewandten, zivilen Ungehorsam zu erhalten. Eisige, innere Kälte. Die ging so weit, dass man zumindest theoretisch gar nichts mehr durfte.
Ein innerer Krieg, der oft auf der Rasierklinge tanzte. Als dann alles um uns herum die finalen Öffnungen einleitete, fühlte ich mich endlich besser und willens, sogar Gesetze zu brechen. Wenn die alle ihre echte Normalität einläuten und wir nicht, dann würde ich sie ständig besuchen wollen, zurückfahren und gegen die Quarantäneauflagen verstoßen. Ja, Wahnsinn, der Al Capone der Pandemie, aber heute wird dir ja schon für Nasenhüpfer ein fettes Bußgeld aufgebrummt, wenn ein Blockwart dir blöd kommen will. Man rechnet mit allem, vor allem solchen Idioten, und die Wahrscheinlichkeit steht nicht schlecht, dass du an einen gerätst. Kein „dolce vita“, keine Glückseligkeit, viel zu viele Überkorrekte, Unzufriedene, die nicht mal einen inneren Krieg führen wollen, aber alle anderen bekriegen, moralisch gefüttert und fett im Geschäft.
Ja, so hässlich es klingen mag – innere Kriege sind auch was Gutes. Neue Ordnungen entspringen aus ihnen. Manchmal auch gute Ordnungen. Wer weiß, was Putin geritten hat, dass er jetzt doch das Kriegsbeil ausgräbt. Und deswegen will ich zur Ukraine nichts sagen. Man weiß nichts, außer das Sündenbock-Gehabe und das Geheule über unsere eigene angebliche Naivität gegenüber Russland. Über die Naivität gegenüber Biden – kein Wort. Und der redet von Weltkrieg. Das ist dann kein innerer Krieg mehr, das ist der Amoklauf der Kriege. Wie wir wissen, enden Amokläufe häufig mit der Selbsttötung. Und das machen wir dann auch schön brav mit. Naiver geht’s nicht.
Das hat übrigens einen Zusammenhang, was ich da jetzt an Themen zusammengekratzt habe. Den bin ich noch dabei, zu extrahieren, weil sich gerade auf Twitter sehr viel tut. Dazu mehr nächste Woche.
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Holger (Montag, 28 Februar 2022 12:03)
Als die Russische Armee in der Ukraine einmarschierte verspürte ich eigentlich nur große Enttäuschung. Nicht über Putin oder Russland, sondern über die Gesamtsituation an sich.
Der Krieg dort berührt mich abgesehen von dieser Enttäuschung nur noch wenig.
Das "nur noch" liegt darin begründet, daß die letzten Jahrzehnte Krieg zum alltäglichen Geschäft geworden ist, der aber nur dann groß ausgerollt und verurteilt wird, wenn er NICHT von den "Guten" gestartet und durchgeführt wird.
Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und der Yemen sind nur die neueren Fälle, die mir spontan ins Gedächtnis kommen, und bei denen "Die Guten" nur aus hehren Idealen in den Krieg ziehen mußten. Bei all diesen Kriegen wurde von Seiten der Angreifer auf das Völkerrecht regelrecht geschissen. Und unser sauberer Qualitätsjournalismus hat den Aggressoren stets aufrichtig bemüht geholfen, die Völkerrechtsbrüche zu verschleiern und der Bevölkerung als notwendig zu verkaufen. "Humanitäre Intervention", "friedenssichernde Maßnahmen" und dieser ganze gehirnzerfickte Schwachsinn, den sich nur abgrundtief bösartige verdrehte Kreaturen ausdenken können.
Ich bin diese Heuchelei so leid.
Wann immer irgendwo ein neuer Krieg losgetreten wird frage ich mich zuerst: Was hat das Land für Rohstoffe?
Not, Leid und Elend der dortigen Bevölkerung ist nicht mal mehr dritt- oder gar viert-rangig für mich. So dermaßen abgestumpft bin ich der Tatsache gegenüber, daß dort wieder SCHON WIEDER die verbrecherischen Völkerrechtsbewahrer Menschen dem Geldverdienen opfern, und daß dies dem gewöhnlichen uninteressierten Mitbürger scheinbar nicht wichtig genug ist, um mal aus der Komfortzone zu kommen und sich ein paar Stunden lang verfügbares Hintergrundwissen anzueignen. Statt dessen haben die Mitbürger dank der Tagesschau schon alle notwendigen Informationen erhalten, um sich eine eigene(!) Meinung zu bilden, und verteidigen ihr so gewonnenes Weltbild sogar noch höhnisch (teilweise aggressiv) gegenüber Leuten, die sich wirklich die Zeit für Informationsbeschaffung genommen haben.
Und das schlägt die Brücke zu Corona.
Auch hier hat der Qualitätsjournalismus die Rolle des Wasserträgers übernommen. Auch hier weiß der gut Informierte Tagesschaukonsument ganz genau wer der Böse ist, und wie man mit ihm umzugehen hat. Man empört sich über die Unmenschlichkeit der Unmenschen und ist bereit zu deren Bekämpfung unmenschliche Taten zu dulden oder gar selbst zu begehen.
Ich habe es nicht so mit Religion, aber den ein oder anderen brauchbaren Spruch gibt es dort doch:
"Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist,
den Balken aber, der in deinem eigenen Auge ist, nimmst du nicht
wahr?"
Es ist diese Heuchelei, die mich mehr als alles andere stört.
Diese dumme, gehirnlose, verfluchte Heuchelei.
Diese Blindheit gegenüber der Ungerechtigkeit.
Und diese selbstverantwortete Blindheit führt auch dazu, daß wir in ein paar Jahren (sofern keine Atomwaffen zum Einsatz kommen) SCHON WIEDER über diesen oder jenen Krieg belogen werden.
Unsicher bin ich mir nur noch in der Frage, ob die Strippenzieher das ganze Schauspiel nicht sogar absichtlich veranstalten, um von anderen für die Zukunft wesentlichen Dingen abzulenken. Corona ist jetzt schließlich nur noch eine Randnotiz. Und das, wo gerade so einiges vom Narrativ ins Wanken geriet.
Der Überfall kommt jedenfalls gut gelegen.
Sascha (Montag, 28 Februar 2022 13:42)
@Holger
Ja, da sprichst du vieles an, was auch mir schon durch den Kopf geisterte. Im Moment lässt sich noch gar nichts Konkretes sagen, außer dass gekämpft wird. Aber erfahren wir nur in eine Richtung ein Framing Putin per se als schlecht und den Westen als gut hinzustellen. 2014 lässt grüßen.
Heuchelei sind wir ja mittlerweile gewohnt. Dazu werde ich demnächst noch etwas schreiben.