Der Nasenhüpfer strikes back! Eine blond gescheckte Spargel-Jane lief letztens durch den Supermarkt und muss wohl irgendwie ihren Riechkolben über das Schnauzenvlies springen gelassen haben, da meldet sich unweit von mir ein grauweißer Zottel zu Wort und schnauzt in ihre Richtung. Zottel lässt nicht von ihr ab (natürlich im obligatorischen Abstand von drei mal einfuffzig Metern) und stammelt die ganze Zeit irgendwas Blockwart-mäßiges.
„Äh, hallo...“
„Die-Na-se guckt raus!“
„Haalloooo.“
„Also echt. Gibt´s ja nicht! Boah!“
„Hey! Heyyyy!!“
Jane interessiert sich einen Kehricht um den Weißkopfadler und stolziert weiter mit ihrem Tarzan durch die Regale. Ich kann natürlich meine Klappe wieder nicht halten und bedeute ihm, es nicht zu übertreiben, da rennt er quasi schon auf die Jane zu, macht aber plötzlich einen Knick und verschwindet bei seinen Tiefkühlschnitzeln. Kein Plan, ob er wegen mir die Biege machte oder wegen ihres stämmigen Tarzans. Die Szene hatte jedenfalls etwas von Skrewball-Komödie.
Woanders freue ich mich über kritischen Gesprächsstoff und werde mit den abwegigsten Theorien bombardiert. Der Weg vom Blockwart zum Vorzeigeschwurbler ist nicht weit die Tage, und niemand von denen kann meinen Drang zur Diskussion angemessen befriedigen. Jeder hantiert heute mit Extremen, dass ich umgehend nach gescheitem Gras schreien möchte, das mich schnell ins LMAA verfrachtet. Fressattacken, Grinsattacken, Scheißegalattacken – ja, das schreit geradezu nach einer Fluchttüte. Zu dumm, dass ich das Zeug schon Jahre nicht mehr angerührt habe, doch jetzt ist mein Bedarf so verdammt groß geworden, dass ich am liebsten irgendeinem Kiffer auf der Straße einen Zug abbetteln oder ihm den Dübel aus der Hand klauen würde. Legalize Cannabis now! Dann kauf ich mir mein LMAA eben bald selbst im Tabakwarenladen, das Stöffchen wird ja jetzt legal.
Ist im Moment sowieso besser, es so zu versuchen. Wenn ich so weiter mache wie bisher, mache ich bald den Assange. Es erschreckt mich besonders, was die mit ihm anstellen, der absolute Wahnsinn. Und das Tauziehen um ihn kann man nur mit reiner Boshaftigkeit erklären. Seine Exit-Strategie, die wahrscheinlich der einzige Weg zu sein scheint, ist die Selbstverletzung – in dem Fall sogar das eigene Gehirn, das den Stress in körperliche Ausreden verwandelt. Schlaganfall. In solch einer ausweglosen Situation wohl das kleinere Übel, als im orangefarbenen Overall das karibische Folterkabinett kennenzulernen.
Es ist nur ein weiterer Baustein im Baukasten der neoliberalen Ungerechtigkeiten. Das Gebilde wird immer größer, und wir brauchen uns nichts mehr vorzumachen: wir leben in einem Unrechtssystem. Wir als Volk müssten dagegen eine Wuchtwelle werden, die die Mächtigen überrollt wie die letzte Flutwelle eines Tsunamis. Die Lavablasen unter dem „Es reicht“-Vulkan sind zum Bersten mit Magma gefüllt, jetzt müssen nur noch Chemie, Physik und Tektonik dafür sorgen, dass es knallt und spritzt.
Das heißt nur so viel wie: dorthin zu gehen und als Masse Kante zu zeigen. Als Demonstrationszug die Institutionen umstellen. Schreien, was das Zeug hält, und darauf kacken, wenn sie ihre Staatsgefährdungsfloskeln auspacken. Wenn sie nämlich so weitermachen können, werden sie uns ganz im Schwitzkasten haben. Jetzt nehmen sie auch Telegram ins Visier, und sie nehmen wieder jeden Mist zum Anlass, darin Extremisten erkannt zu haben. Das mag für vereinzelte Gruppen und Einzelpersonen wahr sein, aber wer glaubt denn ernsthaft, dass die dann nur diese trockenlegen würden und nicht gleich das verhasste Portal gleich ganz dem Erdboden gleichmachen? Der Rückzug aus der Zensur- und Propagandamaschine Facebook/Google wird immer schwieriger, und der Stellungskrieg im Internet nimmt wieder Fahrt auf. Da hilft zum Schluss nur die friedliche Revolution, wenn man kein Blut sehen will.
Gefühlt prasselt eine undefinierte Masse neuer Repression auf uns ein, und wie will man dem noch begegnen? Selbstopferung oder Flucht scheinen die einzigen Mittel zu sein, die einem noch übrig bleiben. Seit die Ampel am Ruder ist, sehe ich überall neue Schmutzflecken, Rust Belts im demokratischen System. Es zerfrisst Fundamente, auch die bildhaften Brücken, die man bauen soll, um an Gemeinsamkeiten zu appellieren. Die Brücken sind derart marode, dass jedes Schwergewicht diese zum Einsturz bringen würde. Diese Flecken aus Schmutz und Rost sind braun, überziehen rot und grün und gelb und alle Farben des Regenbogens. Die Moral formt einen neuen Faschismus. Und der kanalisiert sich über all die Irren im Supermarkt oder wo man sie sonst antrifft. Solchen Faschismus darf man nicht einfach machen lassen. Der wird erstens Teilen des eigenen Volks (wieder mal) übel zusetzen und zweitens andere, neue Spaltungen auf den Plan bringen – das nur als Kritik an gewissen Aussagen vom Maschinisten.
Ich würde mal gerne wieder über etwas Banaleres schreiben. Keine Dystopien zeichnen, nicht nur das Ungerechte in den Fokus stellen. Aber was seit Ende September zu beobachten ist, ist eine auffällige Bewegung der Dampfwalze, die sich Demokratie schimpft. Sprit rein an der Wahltanke, macht 25 Euro und siebzig für den Herrn mit Glatze. Vierzehnachtzig für die Dame mit der komischen Aussprache. Elf-fuffzig, der gelbe Porschefahrer da. Danke. Bitte. Gute Fahrt. Und der Dampfwalzenkorso lenkt wieder in die Spur ein. Daran kommt man nur schwer gedanklich vorbei. Das sind keine kleinen Beschlüsse, die mir 50 € plus oder minus im Geldbeutel bedeuten, es geht hier um Grundsätzliches, wenn nicht gar Globales. Da bin ich froh, dass ich meinen Kindern die Zeugung und Geburt in dieses Irrenhaus erspart habe.
Und gerade Kinder nehmen eine Schlüsselrolle in der Krise ein. Nicht, weil sie selbst irgendwie irrational reagieren würden, sondern weil sie ständig vom Verhalten der Eltern und Älteren beschossen werden und das auch irgendwann adaptieren könnten. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ich hätte ein Kind durch diese Krise zu führen, dann würde es wahrscheinlich nicht nur an meinem Verhalten liegen, sondern vor allem am Schulalltag. Kinder sind dementsprechend nur der Spielball für das Verhalten der Erwachsenen, und wenn sich bei einigen das Spalterische, Druck-ausübende, Denunzierende durchsetzt, dann gnade uns Gott. Oder Allah. Oder Buddha. Oder alle zusammen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Drecksäcke und Traumatisierte wir uns da gerade heranzüchten.
Mir flattern sowieso wieder alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Irgendwie will ich ergründen, was das große Ganze bedeutet. Nicht der Kleinkram. Nicht der Blockwart, der irre durch die Regalreihen flitzt. Bleibts mir fort mit Aerosolgedöns. Weiß ich doch alles schon, das ist Stoff für die Denker auf Sparflamme. Die TV-Banalisten. Die Instagram-Beuglinge. Ich will´s größer. Dinge in einen Zusammenhang bringen. Und während ich noch suche, komme ich gerade immer nur auf den Trichter, dass das alles mit Geld und den woken Dumpfies zu tun hat. Also zwei völlig widersprüchliche Fronten, die in der Krise eine Zweckehe eingegangen sind. High vom Siegestaumel der neuen Regierung hat sich nämlich auch der Ton auffällig verschärft.
Schon aufgefallen? Nee? Bitte gerne. Ja? Prima, dann sind wir uns ja einig. Und so lange unsere neue Bundesglatze da draußen die Kriegsrhetorik übt, nehme ich wohlwollend zur Kenntnis, dass die Leute auf Versammlungsverbote scheißen. Da müsste die Dampfwalze schon über alle drüberbrettern. Platsch. Geflundert. Rot geteerte Straßen ohne rote Linien. Und der Blockwart würde sich nicht einer einzelnen Jane gegenüber sehen, die er im Supermarkt rund machen kann. Dann wären das – plopp! - hunderte, wenn nicht tausende Janes. Da überlege ich mir, ob ich das mit dem LMAA doch mal sein lasse und mir stattdessen Popcorn hole – oder gleich mitlaufe. Seit dieser Woche schöpfe ich tatsächlich wieder Hoffnung. Dass wir aus dieser Schockstarre herausfinden und uns diesem Irrsinn massiv entgegenstellen.
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