Als ich diese Woche bei einem Kunden war und ab und zu zum Paffen rausging, starrte ich oft zum Wasserturm. Dort hatte man wie jedes Jahr fix die Hütten und Stände aufgebaut, dieses Mal völlig umzäunt und mit einem Eingang versehen, wo – wie heute obligatorisch – der Gesundheitsstatus abgefragt wurde, bevor man eintreten durfte. Nur kurz zur Orientierung, und damit keine Missverständnisse aufkommen: es geht um den Weihnachtsmarkt. Doch nun steht nur noch das verwaiste Gerippe der riesigen Weihnachtsmühle herum, die Hütten nebenan werden derweilen entmutigt zusammengeklappt und verladen. Weihnachten ist damit wieder Privatsache mit Kontaktbeschränkung und kein Event für tausende Besucher mehr.
Es hat schon große Symbolkraft, was hierzulande los ist. Jeder halbgare Versuch, den Laden Deutschland am Laufen zu halten, wird im Keim von alarmierenden Zahlenrekorden erstickt. So hatte man sich das wahrscheinlich nicht vorgestellt, als man vor einem Jahr noch mit Lockdowns versucht hatte, Ordnung ins Virenchaos zu bringen. Diesmal hieß es, Lockdowns unbedingt zu vermeiden und nur als absolut letztes Mittel einsetzen zu müssen. Doch ist das nur eines von den vielen, allerletzten Mitteln gewesen, die in den letzten Wochen eingesetzt werden. So betrachtet ist mir dieser Weihnachtsmarkt scheißegal. Der Mannheimer Ableger ist so interessant wie eine Sauftour in Düsseldorf – der längste Glühweintresen der Welt, wenn man so will, und alles andere hat so viel Charme wie der Besuch einer Abfüllhalle bei der Eichbaum-Brauerei. Saufen unter dem Banner des Christkinds.
So verwest nun auch ein weiteres Erbe des Kurpfälzer Wohlstandes vor sich hin. Und ja, nochmal: es ist mir scheißegal. Völlig wurscht. Nicht von Bedeutung. Goes me on the ass passed. Dabei gibt es sehr schöne Weihnachtsmärkte. Die wirken mummelig, wärmend, charmant und stilecht. Bad Wimpfen zum Beispiel. Heidelberg, vor allem der Ableger am Schloss. Straßburg, Colmar oder andere französische Märkte. Die sind wenigstens kreativ und imposant anzuschauen. Aber unserer hier? Klonarmeen identischer Holzhütten, grüne Stahlträger, die uniforme Holzlattenwände von der Stange rahmen. Trotzdem tun mir die Bediensteten leid. Sie trotten niedergeschlagen von Hütte zu Hütte und bauen diese wieder ab. Gefühlt dauert das zehn Mal länger als der Aufbau, kein Wunder bei so viel Enttäuschung und Existenzangst. Der schwächliche Glanz der Lichterketten ist erloschen, und mit ihm die Hoffnung oder wenigstens ein bisschen mummeliges Ambiente von Lebkuchen und Adventskerzen.
Es fällt mir derweilen schwer die Tage, meine gute Laune aufrecht zu erhalten. Dabei sehe ich sehr zwiespältig zu den verwesenden Hütten hinüber – einerseits mag ich solchen Trubel nicht besonders, andererseits sorge ich mich um die Symbolik, die sich zweieinhalb Wochen vor Weihnachten am Wasserturm abspielt. Wie der christliche Gedanke von Nächstenliebe hier bildlich verrottet, beschlossen von jenen, deren Vorstellung von Nächstenliebe nur unter bestimmten Bedingungen zu funktionieren hat. Es ist ja nicht so, als würde man im kollektiven Einvernehmen solche Massenevents nicht mehr veranstalten. Sie sind eher Symbol für den kaum noch aufzuhaltenden Abstieg einer Nation, auch ist es kein Herunterfahren einer dekadenten Spaßindustrie, sondern die ungewollte Drohung des finanziellen Exodus. Irgendwo lanciert die Rechtfertigung für die Schließungen zwischen der Panik vor den Zahlenrekorden und dem Wahn, durch Weihnachtsmärkte würden sich, konform zur Inkubationszeit, bald scharenweise Menschen die Seele aus dem Hals bellen, fiebrig werden und im Krankenhaus aufschlagen wie Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg.
Krieg.
Ich will es mir nicht vorstellen, aber die Zeichen deuten darauf. Und das macht mir eine Höllenangst. Jede fucking News, jeder hetzerische Kommentar, lässt in mir kaum noch Wut hochkochen, keinen Aktivismus, der in mir das Kämpferherz in Wallung brächte. Ich bin nur noch erschöpft, resigniert, und die einzige Wallung sind Schübe ängstlicher Erregung im Bauch. Nicht mehr willens, Kraft zum Ärgern und Kämpfen aufzubringen. Ich fahre nur weiter meinen Schuh, bis sie mir tatsächlich irgendwann den Pistolenlauf auf die Brust setzen und den Hahn ziehen. Die einzige Hoffnung, die ich noch habe, ist mein Konsens an einen Teil der Gesellschaft, den ich vorher schon zu hassen lernte und nun völlig verabscheue. Die meisten Politiker, die Medienhäuser, die radikalen Impfbefürworter, die nun völlig den Verstand und jeden Anflug von Vernunftbegabung verloren haben und nur noch mit Salven von Spott, offener Verachtung und Impfspritzen auf mich einschießen, bis sie endlich ihr narzisstisches (Un)Recht abkassieren können. Ich fühle nur noch eine lähmende Verachtung für jene, die andere als (indirekte) Mörder abstempeln, und die haben Mittel und Wege, im Fall der Fälle jede Sanktion, jeden Satz als legitime Aussage stehen zu lassen. Es ängstigt mich, was man ungestraft in den Raum werfen kann, was in der Vergangenheit noch als Unrecht empfunden wurde.
Ich erschrecke regelmäßig darüber, wie Wissen, Handeln und Sprache - alles, was zuvor noch normal erschien, plötzlich vergessen, ignoriert und bekämpft wird. Wie Sachverhalte auf Weniges heruntergebrochen werden. Und dann noch falsch und fast schon religiös beschworen. Die völlige Abkehr von der Realität. Wie sie jedes Schulwissen, jede Erfahrung, jede Erkenntnis jahrzehnte-, ja gar jahrhundertelanger Arbeit als Lüge stigmatisieren. Wie „die“ Wissenschaft plötzlich nur noch auf ein Narrativ gestutzt und jede Abweichung vernichtigt wird. Wie das alles gegen eine Ideologie getauscht und aggressiv beworben wird, ja durchgepeitscht werden soll. Und wie sich dieses schiefe Bild immer mehr Bahn bricht, sich verselbstständigt und als alternativlos gerahmt wird.
Manchmal musste ich mich dann selbst hinterfragen – habe ich tatsächlich unrecht? Verrenne ich mich nicht in etwas, das gar nicht wahr ist? In dem Zusammenhang war es gut, die Entwicklungen weiter zu verfolgen. Und das, was nun bröckelt und nur noch mühsam schöngeredet werden kann, ihre Vorstellungen, ihren Plan langsam, aber sicher zunichte macht. Es wächst eine Genugtuung in mir, Recht behalten zu haben, aber auch die Befürchtung, dass sie nur noch mit ihren Drohungen (oder noch schlimmer) die Hoheit über ihre unrealistischen Ziele erhalten können. Natürlich könnte ich mich dem fügen und zusehen, wie alles den Bach runtergeht. Wie ihr verkümmerter oder noch gar nicht ausgebildeter Wissensrahmen zu übertriebenen Ängsten und wildes Um-sich-schlagen führt. Wie jede Bemühung, Ruhe und Sachlichkeit in die Sache zu bringen, in ihrem emotionalen und irrationalen Chaos plattgemacht wird.
Was sie damit schon angerichtet haben, sehe ich nun, während ich meine letzten Züge von der Zigarette nehme, in dem bedauernswerten Gerippe, das wohl in wenigen Tagen nicht mehr stehen wird. Steht da wie bestellt und noch nicht abgeholt. Vielleicht kommt sogar der Sperrmüll, und die orangenen Jungs pressen das Ding in Nullkommanichts in den Bauch ihres Müllwagens. Nicht das Virus hat Weihnachten zerstört, sondern die Ängste vor dem Virus. Jede Maßnahme ist ein Sargnagel mehr für ein schon dysfunktionales System Deutschland, das sich im religiösen Eifer von angeblicher Solidarität und dem totalen Infektionsschutz selbst zugrunde richtet. Wie jeder Rettungsversuch von Firmen, Vereinen und Institutionen an der Regulierungs- und Verbotslust unserer Entscheider ins künstliche Koma oder gleich zum stillen Begräbnis führt.
Ich könnte jetzt noch weiter versuchen, das abzuwenden. Aber nein, ich bin zu winzig, zu machtlos. Ich habe die Mühle nicht selbst besetzt und lahmgelegt und trage nicht mal selbst etwas dazu bei, die Krise zu verlängern. Und wenn wir schon von Mühlen sprechen: vielleicht, hoffentlich, irgendwann, werden auch sie einsehen müssen, dass sie da gerade gegen Windmühlen kämpfen. NoCovid-Don Quixotes. Man sollte schon etwas dafür tun, den kollektiven Verwesungsgeruch durch Aufgeben, Fehlererkennung und richtiges Handeln zu entfernen, aber scheint im Moment die Faszination an Tod, Macht und Intrigen noch zu frisch zu sein. Und wenn es nur den Tod unserer Institutionen und politischen, gesellschaftlichen und sozialen Fundamente bedeutet. Das kann man nur noch beobachten und hoffen, dass man nicht dazwischen zerrieben wird.
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IW (Montag, 13 Dezember 2021 13:14)
als echter Oldie weiß ich noch von der stillen, "staaden", besinnlichen, gemütvollen, geheimnisvoll-dunklen Vor- und Weihnachtszeit, im Alpenvorland sogar mit Schneefall. Das war ehe der Weihnachtskomerz, das Eventgehabe Einzug hielt in die gesellschaftlich öffentlichen Räume.
Ich weiß noch meine Trauer und den Schock als Vorweihnachten in hell erleuchteten Dekolichterketten untergegangen ist, im gesamten Städtischen Raum. Dann kamen die Advents- und Weihnachtsmärkte auf, mit überall wiederholt gleichem Tand und Dekos und die Fress und Glühweinbuden. Geselligkeit wurde nach Außen verlagert. Der Kommerz hatte obsiegt, der Geist von Weihnachten im Säkularen untergegangen. Folgerichtig will die EU nun auch Worte wie Weihnachten im Öffentlichen Raum als abschaffen inclusive der Namen Maria und Josef.....
Sascha (Dienstag, 14 Dezember 2021 05:11)
@IW
Ich habe nicht mal so viel für den Weihnachtskitsch übrig. Das wichtigste ist mir das Beisammensein in der Zeit, egal wie man das begeht. Aber richtig: die Eventisierung hat schon so manchen Feierkult zunichte gemacht. Ein paar ausgesuchte, richtige Gäste bringen mir mehr als eine Masse von Freibiergesichtern, die wirklich keinen Anlass auslassen, um wieder auf Achse zu sein und dir per se den Spaß verderben, gewollt oder nicht.
Cetzer (Donnerstag, 16 Dezember 2021 00:26)
"Krieg.
Ich will es mir nicht vorstellen, aber die Zeichen deuten darauf."
Ich habe gerade einen Artikel von Dimtri Orlov gelesen, der dies (in der Ukraine) für unwahrscheinlich hält und ausdrücklich der deutschen (Qualitäts-)Presse vorwirft, die Absage des Krieges zu verschweigen. Ein bisschen Trost ziehe ich daraus, dass die gespannte Lage in Syrien (mit einigem zwischen Russland und USA, das verschwiegen wurde) nicht eskaliert ist, obwohl der direkte Draht zwischen beiden an manchen Tagen sicher heiß lief.
In jedem Fall bin ich zuversichtlich, dass sich nicht alles vom 2. WK genau wiederholen würde: Im Gegensatz zum Volkssturm am Ende wird diesmal gleich zu Anfang der UngeimpftenSturm verheizt. Die Rolle von Manfred von Richthofen (Rote Baron, 1.WK.) könnte vielleicht Philip Amthor(Junge Baron) übernehmen, wenn sein Führerschein vom untoten Verkehrsminister Andi Scheuer eigenmächtig zum Pilotenschein umgeschrieben wird.
Sascha (Donnerstag, 16 Dezember 2021 15:36)
@Cetzer
Die "Qualitäts"presse hat schon so manches herbeigeschrieben. Lauterbach reicht doch schon für den Anfang. Dann bekommt sie auch ihren Krieg, wenn sie nur jedes baerbockige "yu ar a werrie iiiihvel raschien" echoet. Da wartet man doch eigentlich nur noch auf den Zeitpunkt für Schlagzeilen á la "Deutschland für Frieden und Freiheit an der Front!".
Natürlich wiederholt sich nicht alles von damals, aber es reimt sich, mehr oder weniger.