Mittwochs stehe ich – wieder mal – nahe meines Zuhauses am Testzentrum an. Der Unterschied zu anderen Tagen ist die neu eingetretene Regelung „3G am Arbeitsplatz“, der dazu führt, dass ich nun nicht mehr alleine oder mit ein paar wenigen Verirrten dort anstehe, sondern mit einigen mehr. Meinen Termin hatte ich vorher für 16:10 Uhr gebucht, doch da die Hälfte sich schon seit einiger Zeit die Beine in den Bauch standen, würde ich mir natürlich nicht zeitnah Nasenabstrich und Testergebnis abholen können.
An solchen Tagen kam mir das irgendwie bekannt vor. Menschen, die mit versteinerter Miene in einer Schlange warteten, leichte Erregung darüber, dass der gebuchte Termin nun verstreicht, und man mindesten 10 Minuten später erst ins Testzelt gebeten wird – Testzentren sind nun die Suppenküchen für die Impfstofflosen. Wie sich woanders die armen Schlucker ihren Teller Suppe abholen, holten wir uns 24 Stunden Teilfreiheit ab, eine Arbeitserlaubnis. „Teil“, weil nicht jeder freigetestet überall hin darf, 2G ist hier unter anderem am Mannheimer Weihnachtsmarkt oder bei den ersten der Kunden meiner Firma angesagt. Die Beschlüsse wuchern nicht nur in den Freizeitbereich, sondern nun auch ins Existenzielle hinein.
Nun obliegt es der Wirtschaft, ob sie nur Dienst nach Vorschrift tut oder eben nicht. Natürlich ist die Grenze nach oben weiter offen, nun liegt der Ball woanders - „der Markt regelt das“, so, wie es bisher immer gehandhabt wurde und nun wieder wird. Man stellt sich das im böswilligen Sinne folgendermaßen vor: Der Nachtdienst, wahlweise die Bequemsteingeschränktklientel im Homeoffice, schaut auf Youtube noch eine einpeitschende Forderung von Montgomery bei Anne Will, liest eine passende Spiegel-Kolumnenanleitung zur anstehenden Diffamierungskampagne oder macht sich mit den meinungsgleichen Kollegen heiß; wartet nur noch auf den Mitternachtsgong und haut anschließend voll motiviert in die Tasten. Rundmail an alle, die es betrifft, und schon ist das Hausrecht die oberste Direktive im Land geworden. Eat this, Ungeimpfte!
Aber, der Fairness halber, will ich nur den wenigsten böse Absicht unterstellen. Andere mussten nur gezwungenermaßen ihre Gültigkeitsdauer bei der Kontrolle von Testzertifikaten anpassen. Hier wurde konform zum Gesetz gehandelt, und so muss ich nun täglich statt nur sporadisch ein Testzentrum aufsuchen, um bei ihnen Einlass zu erhalten. Es wird nun Routine werden, nach der Arbeit einen Termin zum Nasebohren wahrzunehmen. Für´s erste zumindest, und man munkelt schon über andere Pläne und Änderungen, abhängig von einer Zahl, die heute mehr Gewicht hat als Quartalszahlen in Firmenbilanzen. Und das soll in unserer kapitalistischen Gesellschaft etwas heißen...
Gleichzeitig ist man im Dauerzustand von Verwirrung und unterdrückter Wut gefangen, versucht das Beste aus der Situation zu machen und fühlt sich doch wie im Tal der Aussätzigen isoliert. Mit dem Unterschied, dass die Gesunden und Unberührten nun eingepfercht sind, wenn auch nicht räumlich sichtbar. Man hat aus der Geschichte zumindest gelernt, offenkundige Ausgrenzung nicht allzu frontal zu offenbaren. Zumindest in Deutschland nicht. Bei unseren alpinistischen Nachbarn ist man derweil schon einen Schritt weiter, und während unsere Obersten sich noch um Begrifflichkeiten herumwinden, geht man im Geburtsland Adolf Hitlers schon mit gutem Beispiel voran. Es brauchte nur einen Wechsel am Posten des Kanzlers und des Gesundheitsministeriums, und schon werden die kühnsten Träume der ZeroCovid-Fraktion bittere Wirklichkeit.
In Deutschland ziert man sich noch, Entscheidungen zu treffen, die man ihnen später um die Ohren hauen könnte. Framing und Sprache sind gerade im Begriff, sich ins Gegenteil zu verkehren – „Solidarität“ und „Empathie“ stehen bei ihren heißblütigen Verkündern auf der Kippe, weil sie nun ihre Zurückhaltung verlieren. Und doch ist es so geworden wie erwartet: sie scharrten mit den Hufen und zeigten bisher nicht die Chuzpe, endlich aus der Deckung zu kommen. Man wartete lieber darauf, wer den ersten Stein wirft. Österreich so: „Hold my beer.“ Während bezüglich Australien ein schwarzes Loch deren Politik und die Auswirkungen aus der öffentlichen Wahrnehmung gesaugt hat, können wir unsere Nachbarn einfach nicht ignorieren. Die Innovationswüste Deutschland in ihrer Beschlussstarre – da musste man tatsächlich noch froh sein, nicht das erste Land gewesen zu sein, das nun den „austr(al)ian way“ eingeschlagen ist. Da wir uns in der jüngeren Vergangenheit aber auch wirklich gar nichts getraut und bewahrt hatten, sei es eine Magnetschwebebahn, Solartechnik oder restriktive Politik, werden wir Gott sei Dank nicht von der Welt ein drittes Mal als globaler Sündenbock dastehen. Wir können annehmen, dass man nach dem ultimativen Scheitern auf andere zeigen wird.
Doch bis dahin wird noch ein harter Winter vergehen müssen. Man kann in den nächsten Monaten nur ausharren und auf den März hoffen. Denn ist der Monat, wenn schon wieder die ersten Knospen sprießen und das Gemüt auf Aufbruch und Glücksgefühle schaltet, der Stichtag zu einer geplanten Befreiung, und das ausgerechnet fast zeitgleich zu meinem Geburtstag. Doch kann ich diesen Grad an Hoffnung kaum aufrecht erhalten – zu oft wurden Versprechen gebrochen, zu oft werde ich Zeuge davon, dass jeder Peak in der Infektionskurve in ihrer Wahrnehmung dem drohenden Untergang gleicht. Und dass sie dabei wieder auf uns zeigen werden. Die Schuldfrage kennt man ja von ihnen, den Woken und Bessermenschen. Sie beantworten sie immer mit der Forderung, Buße zu tun. Dabei ist es nicht wichtig, ob man sich denn kulturell etwas angeeignet hat oder sich den „Jab“ nicht abholt. Sie konnten dabei nur so mächtig werden, weil man sie lässt.
Dass all das Empathiegehabe nur ein Imagewert war, können sie nun nicht mehr ausreichend kaschieren. Die Masken fallen, wenn auch nicht aus ihrem Mund-Nasen-Bereich. Und so skandieren sie weiter mit ihren Sp(r)itzensprüchen, überlegen sich neue Hässlichkeiten und reiben sich die Hände dabei. Und wie einst werden ungewollte Gruppen nicht von einem Moment auf den anderen mit der letzten Grausamkeit konfrontiert, sondern langsam, immer ein Stückchen mehr. Und so darf ich immerhin noch zur modernen Suppenküche trotten, Nasenstäbchen und Testergebnis einschenken lassen. Und danach wieder in das Bisschen Restleben zurückkehren, das ich mir unter der Brücke zusammengeklaubt und verwahrt habe. Wie selbst schuld ich doch daran bin...
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Cetzer (Freitag, 26 November 2021 12:46)
"Bequemsteingeschränktklientel"
Vor Klientel würde ich einen Bindestrich oder Großbuchstaben (CamelCase) spendieren. In Zweifelsfällen schaue ich bei Google (ausnahmsweise) nach der Zahl der Treffer und die ist bei obigem Wort 0 - Glückwunsch zur Premiere!
"und auf den März hoffen"
Im dem leider der Stichtag der Verlängerung des Infektionsschu...und so weiter liegt.
"Sie beantworten sie immer mit der Forderung, Buße zu tun."
Das ist wichtiger Bestandteil einer HerrschaftsTechnik, ohne die es z.B. die katholische Kirche schon lange nicht mehr gäbe. Nicht umsonst ist Mutti Merkel von Haus aus, religiös (evangelisch) gestählt.
Sascha (Freitag, 26 November 2021 16:47)
@Cetzer
Dafür, dass mir das Unikum an Wortkreation erst heute morgen beim Gegenlesen eingefallen ist, sollte ich dank deines Hinweises über ein Hashtag nachdenken. Soll ja die Chancen, viral zu gehen, verbessern.
Zur Buße: Wirklich interessant, wie man die Kirche so stark ins Abseits diffamieren konnte (teils natürlich zurecht) und sich jetzt einfach deren Methoden aneignet. Gilt das eigentlich auch als kulturelle Aneignung und müssen sie sich jetzt selbst dafür öffentlich entschuldigen?