Wer mir vor zwei Jahren erzählt hätte, dass ich mich wohlwollend über die Bild-Zeitung auslassen würde, dem hätte ich wahrscheinlich eine gezimmert. Ich hatte schon ein Symbolbild gepostet, in dem ich eine Ausgabe des Schundblattes im Mülleimer versenkte, quasi den Fuß auf den verdroschenen Gegner setzte und in Siegerpose über meinen Erfolg prahlte. Warum ich das heute bereue, hat mit Corona einen nachvollziehbaren Grund. Auch bei anderen Themen nehme ich das Populistenpapier als ergänzende Stimme hinzu, weil die großen Platzhirsche immer tendenziöser berichten. Ich muss mich schütteln, die Augen reiben, denn dass der Axel Springer-Verlag in diesen Tagen einer der wenigen ist, die sich kritisch zum Pandemiegeschehen äußern, will mir trotz der Dankbarkeit nach dieser langen Zeit immer noch nicht in den Kopf.
Ähnlich reagiert hatte ich über die Causa Reichelt. Als nun diese Woche der Oberkretin der Journalistenkaste geschasst wurde und ich die Begründung las, schnaubte ich in einem Anflug von Fassungslosigkeit und Verwunderung laut vor mich hin. „Pffffff.“, war alles, was ich hervorstieß. Nun wandern meine Gedanken irgendwo zwischen „Geschieht ihm recht.“ und „Da ist doch was faul!“ planlos umher, und die wachsweiche Begründung ergibt irgendwie keinen Sinn. „...Privates mit Geschäftlichem vermischt...“ hieß es da, gleichzeitig wurde um die zurückgehaltene Recherche des Ippen-Verlages debattiert – und ich? Versteh´ nur Bahnhof. Dass das mit der angeblich sexuellen Belästigung und herrischem Führungsstil zu tun hat – geschenkt. Aber wenn nur mindestens einem dieser Vorwürfe ständig so hart nachgegangen würde, würden wir bei einigen windigen Vorgesetzten den Rotstift ansetzen müssen. Fachkräftemangel gibt es – also rein personell - in Führungsetagen jedenfalls kaum. Einen Unterschied würde ein Mangel nicht machen, bei so vielen Fachidioten, die unsinnige Dinge entscheiden, die wiederum entweder den Bau von Flughäfen oder die schlichte Sanierung von älteren Bürotürmen zum Fiasko machen können.
In Zeiten psychologischer Kriegsführung zweifelt man mittlerweile an allem, was sich bei kritischen Köpfen in diese Richtung bewegt. Dabei ist Julian Reichelt optisch so etwas wie der Prototyp unter den Grinsebackenmachos. Mit stereotypem Brusthaartoupet und Pornobrille wird man sogar als 80er-Jahre-Nostalgiker extrem wuschig, würde er nur mal die Laberluke auf Winterschlaf stellen. So wird das nichts mit der Synthwave-Retrowelle, immerhin taugt sein Rausschmiss zur Terminator-Ikonie mit einem „I´ll be back“-Meme. „Back“ war er dann auf Telegram tatsächlich – doch da herrschten weder Freude noch Aufbruchstimmung vor, sondern nur Stirnrunzeln und Fake-Vermutungen. Zweifelhaft. Mir blieb nur die offene Kinnlade...
… und blieb auch offen, als ich folgendes las: „Spahn für Ende der ´epidemischen Lage´“
Weiter im Text wird dann sogleich wieder Lauterbach hervorgekramt, der natürlich sofort zur Stelle ist. Die Tagesschau etwa holt zusätzlich den Warnefinger heraus und hat immer noch nicht kapiert, dass die Inzidenz eigentlich nicht mehr der führende Faktor in der Maßnahmenpolitik sein soll. Wie immer muss man schon etwas genauer hinsehen, wenn positive Nachrichten die Runde machen, weil da immer noch AHA+L plus 3G plus JVA im Falle von LMAA im Raum stehen. Quasi ein verwässertes Abschiedsgeschenk falscher Freiheit. Ein „Ihr werdet mich noch vermissen, wenn Lauterbach kommt.“ liest man zwischen den Zeilen heraus, gefolgt von diabolischem Gelächter. Abwarten. Tee trinken. Ruhig bleiben. Wuuuuuuuzaaaa...
Seit 2G/3G/TT (teure Tests) muss man wirklich an der eigenen Ruhefähigkeit arbeiten. Nicht, dass das neu wäre. Ich verfolge jeden noch so kleinen Schritt in die Richtung, in die wir geschubst werden. Und jedes Mal dachte ich, dass es nicht schlimmer kommen könnte. Jedes Mal wird man eines Besseren belehrt. Offene Kinnlade. Mittlerweile habe ich eine Maulsperre davon. Das hat denselben Effekt wie die Affinität, den Kopf auf Betäubung zu schalten, weil man unter dem Banner der guten Sache sich selbst ins Gefängnis sperren lässt. Wird schon richtig so sein. Offene Kinnlade. Heute, in diesem Dauerzustand der erstaunten Gesichtsmimik, sind sich die Kultisten wirklich für nichts mehr zu schade. Sie geben ihre Würde an der Garderobe ab, ihre Selbstachtung bei der Security plus Post-It mit PIN-Nummer drauf. Schau ruhig rein. Mach´s dir bequem. Ich habe nichts zu verbergen oder zu bewahren. Und statt 2G wird sogar der „Genesene“ zum Buhmann. Na, ob das Theater noch so weitergeht – ich habe jetzt schon das Gefühl, dass 2G auf der moralischen Rasierklinge reitet, auch wenn es tatsächlich welche gibt, die das super finden. Dann muss man nichts mehr aushalten, was man nicht auf der Party haben will. Raus mit dem Dreck. Woke neue Welt.
Was jedoch über allem thront, ist eine Art Aufbruchstimmung inmitten der lähmenden Maßnahmenfalle nationalen Ausmaßes. Die Straßen sind wieder voller, Homeoffice verliert seinen Reiz, und trotz dieser Hoffnung auf Normalität ist nichts mehr normal, sondern einfach arschiger als zuvor. Mein Steckenpferd im Aufregen über Deppenfahrer ist das sture Linksfahren. Das war vor Corona schon so, nur hat sich das nun gefühlt potenziert. Wenn auf dreispurigen Autobahnen die Mittelspur die leerste ist, sollte man sich die Frage stellen, warum. Erklärungsversuch: Vorne am Horizont ist ein LKW erkennbar, der zum Elefantenrennen ausschert. Da muss man doch vorsorgen und links rüber fahren, so wie dutzende, gar hunderte andere auch. Zu blöd, dass einer von denen nicht mehr als 110 fährt. Und hintendran stapeln sich die anderen. Die Folge: Bremsorgie. Mit Vollgas aufschließen. Wieder Vollbremsung. Und so geht es nahtlos weiter, egal wo, egal wie. Zwei Spuren, drei Spuren – egal. Zehn Kilometer Stau wegen Auffahrunfall auf der linken Spur – hört man häufig, neben den LKW-Unfällen, die gleich ganze Autobahnabschnitte blockieren. Der Grund sind Übermüdung, Alkohol am Steuer, Unachtsamkeit. Deutschland – deine neoliberalen Kollateralschäden. Das neue Normal ist wie das alte Normal, nur intensiver. Und links ist nicht Beschleunigung, sondern Ausbremsen angesagt. Herrlich, dieser Vergleich, wenn man ihn auf Politik und Ideologie überträgt.
Return of the Ellenbogengesellschaft. Nun jedoch aufgerüstet mit Rasierklingen. Nun ja, so wirklich weg war die zwar nicht, aber man war doch belustigt darüber, wie sich etwa die Minister ungelenk in einem solch virenfreien Gruß versucht hatten. Umkehrung der Motive, Ellenbogen sind nun was Gutes. Nun kommt die dunkle Seite des Gelenkeinsatzes zurück, und es wird wieder ein paar Honks geben, die das als etwas Standesgemäßes betrachten. Man kann das Gute der präventiven Verrenkung nun als Grund vorschieben, ähnlich wie Masken, die man nun in den Alltag integrieren will. Alles ist gekommen, um zu bleiben. Vermummung ist Antifa, und Antifa sind wir ja alle, weiß sogar Steinmeier. Man kann sich wieder eine super Assoziationskette erdenken und trifft immer ins Schwarze.
Derweilen warnt der ADAC zum Ende der Herbstferien mit vollen Straßen. Viele Baustellen plus Reiserückkehrerwelle, viele wahrscheinlich geimpft, in Aufbruchstimmung durch Rückgabe ihrer Freiheit via Spritze und im VIP-Club der notorischen Linksfahrer und Spontanspurwechsler. Das Ausschlussverfahren wird nun inmitten der Gesellschaft ausgetragen – ohne VIP-Zugang keine gesellschaftliche Teilhabe. Von 1G bis 3G alles dabei, und jeder tut, wie er es für richtig hält. 1G = linke Spur. Gedacht für V8-Biontech-Einspritzung, AstraZeneca-Sportausführungen (mit Kinderkrankheiten wie verstopften Benzinleitungen) und Porsche Modernas (Nischenprodukt mit ordentlich PS an Immunmotorleistung). Mittelspur ist was für Unentschlossene und Drückeberger, also entweder links, wo die Herde rollt, oder rechts, wo die 40-Tonner dich bis 80-90 km/h herunterbremsen. Freigetestet sind sie, aber können eben nur unter Einschränkung am Gesellschaftsrennen teilnehmen.
Und ich fahre gemütlich durch die Mitte. Mittendrin statt nur dabei. Während links der Adrenalinpegel kocht, mit Gesichtsfarbe in neuer Trendtönung Vulkanausbruch, tuckere ich schön gemütlich rechts an ihnen vorbei. „Nadsi!“, schreien sie sogleich in meine Richtung – aber okay, linker wie die geht ja nicht mehr. Da ist man zwangsläufig rechts. Rechtsfahrgebot ist ja jetzt auch rassistisch. Nein, Scherz, ist es nicht. Aber da rechne ich mittlerweile mit allem.
Ich hätte ja auch nie gedacht, dass ich mich auf die Bild berufen würde. Deshalb: Sag niemals nie. Dann geht auch die Kinnlade wieder zu.
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Niki (Montag, 25 Oktober 2021 08:16)
Mir geht es in letzter Zeit sehr ähnlich und jedes Mal denke ich das mich jemand mal kneifen sollte, dass ich aus diesen dystopischen Albtraum mal aufwache...
Btw: Du hast vollkommen recht mit der Annahme dass die Inzidenz nach wie vor, vollkommen wider besseren Wissens, als Indikator genutzt wird. Damit kann man so schön Panik schüren... Und Lauterbach? Wann befreit uns endlich mal jemand von diesen vollkommen IRREN?!?
Btw2:
In den USA gibt es Linke die etwas differenzierter an die Covid19 Geschichte herantreten, als vermutlich die Mehrzahl der Linken in Deutschland...
Bitte nicht die "Democrats" in den USA nicht mit links gleichsetzen...
https://www.youtube.com/watch?v=eQSDQ-QInh4
Des Illusionierter (Montag, 25 Oktober 2021 15:10)
Mir scheint, dass mit dem Spahnschen Vorstoß – Maßnahmen auch ohne pandemische Lage – im Grunde zwei Dinge von einander getrennt werden, die von Anbeginn nichts mit einander zu tun hatten:
Die Pandemie® musste als Vorwand für ein totalitäres Notstandsregime herhalten, welch letzteres der eigentliche Zweck war, den Dummen aber als alternativlose Folge der „pandemischen Lage“ verklickert werden konnte.
So ist es nur logisch, dass man diese Notlüge jetzt endlich aufgibt und die brutale Realität auf das sedierte Bürgertum einwirken lässt.