Wie unterschiedlich „Hetze“ wahrgenommen wird, durfte ich letztens wieder in meiner Facebook-Blase erfahren. Was genau „Hetze“ ist, scheint heute nur von einer Seite herzustammen, zumindest wenn man die neolinken Aktivist:_*innen fragt. Da postet einer meiner Daueranlaufpunkte (eigentlich links, aber was bedeutet das heute schon?) zur Informationsbeschaffung ein paar dem „Mainstream“ entlehnte Posts und kommentiert sie, teils ironisch, was ich in meinem Mikrokosmos nicht als Hetze empfinde. In den Kommentaren jedoch scheint sich eine selbsternannte, grünpolitische Richtigstellerin auf ihn eingeschossen zu haben und unterstellt ihm genau das.
Szenenwechsel.
Diese verd... F..., die C... l... und „(S...) H...“ swipen kann (Alter, ich hab noch niemals irgendwelche dieser Begriffe irgendwo niedergeschrieben!), Sarah-Lee Heinrich, wird nun Sprecherin der Grünen Jugend. Dass sie damit im öffentlichen Fokus steht und ihre „Jugendsünden“ noch nicht aus Twitter entfernt hat, hat wohl demjenigen die Sprache verschlagen, der sich mal durch ihren Account geklickt hatte. Was man da so liest, würde meinerseits einen realen Arschtritt bedeuten, wahrscheinlich sogar ganz Ferrero-Küsschen-mäßig: „...oder auch zwei oder drei.“ Nun wird auch schon wieder ganz woke herumgeheult, man hätte eine Kampagne gegen sie gestartet – tja, schon scheiße, wenn man es nicht mehr verleugnen kann, schwarz auf weiß in irgendwelchen Posts verewigt, pupertärer Dünnschiss. Unweigerlich denkt man an seine eigene Pimpfenzeit. Hätte ich früher „Fotze“, „Tunte“ oder „Heil!“ geschrieben oder öffentlich ausgesprochen, hätte ich so viele Schellen abbekommen, dass ich danach mein Gesicht hätte neu modellieren müssen.
Es ist fast schon süß, wie die üblichen Verdächtigen in der Medienblase die Worttäterin nun in Schutz nehmen. Wo wir – wieder mal - bei der Doppelmoral wären. Die Twitterritter wittern nun, wie erwähnt, mal wieder eine gesteuerte Schmutzkampagne (Verschwörungstheorie gefällig?), die Rache der „eklig-weißen Männer“. Die Partei selbst? Schweigt sich aus und rechtfertigt, nimmt sie aus der Schusslinie. So geht kognitive Verzerrung, und es ist nur eine andere Form von Lobbyismus, der ja eigentlich gerne per Degenhieb von linken Parteien und Medien in die rechtskonservative Blase gestochen wurde und wird. Wer also dachte, das bei den Grünen die Rechtschaffenheit in prinzesschenhafter Reinform zu finden wäre, irrt. Sie bedient nur eine andere Ideologie im gleichen Maße, nur eben anders positioniert. Aber wem erzähle ich das? Jeder Person, die nur annähernd bei Vernunft ist, dürfte das erkannt haben.
Man hat mir bei meiner Kritik schon vorgeworfen und mit Ironie unterlegt, ich könnte ja selbst in die Politik gehen, wenn ich doch so anständig gewesen wäre. Natürlich hätte ich das tun können, und zwar ohne mich groß dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich der Welt einen derartig asozialen Stuss hinterlassen hätte. Und da rede ich jetzt nicht von relativ einfachen Schimpfworten wie „Arschloch“ oder „Pisser“. Das kann man gerne in der Clique loswerden, es gehört sogar zum Ritual des Sich-Neckens. Man muss jedoch damit rechnen, dass man bei den asozialen Medien daran bemessen wird, was man der Nachwelt bewahrt und was Fremde denken, wenn sie es lesen. Vor allem dann, wenn man sich schon als „antifaschistisch“ bezeichnet und Sprache in der woken Welt einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Als Retourkutsche öffentlich um sich zu schlagen und sich mit ein paar läppischen Worten entschuldigen zu wollen, ist mir in der Größenordnung nicht genug. Das sagt nicht die beleidigte Leberwurst in mir, sondern die Erwartungshaltung für die nächsten Jahre. Eine Luisa Neubauer hat sich jüngst auch nicht als diplomatisch hervor getan, mit Augenrollen und genervten Seufzern aufzufallen ist eben keine Grundlage für eine sachliche Diskussion.
Was bleibt, ist (wieder mal und jetzt erst recht) ein Bild über die Grünen, das man sich selbst in 1998 unter Joschka Fischer nicht hätte träumen lassen. Immerhin sagte Fischer noch „Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!“ - auf dem Niveau auf Teppichhöhe ist das noch die freundlichere Form der Polemik. Was die neu gewählte Jugendgrüne da abgesondert hat, hat allerdings gar nichts mehr mit Respekt zu tun. Mit Politikfähigkeit noch viel weniger, und man bemisst ihre abwertenden Kommentare nicht nur auf ihren geistigen Ergüssen im Alter von 14, sondern auch das, was sie vor 2 Jahren in einer FUNK-Debatte aussagte.
Man kann festhalten, dass sich heute die Generation in die Machtetagen mischt, die ich oft mit Argwohn betrachtet habe. Die, die mit ihren gezückten Handys und billigem Glitzerlook durch die Flaniermeilen tickerten und dabei wahllos Personen mit hässlichen Sprüchen bepöbelten. Die „eklige Spießerfressen“ etwa, die „geilen Schwänze auf zwei Beinen“, die „hässlichen Anzughackfressen“ (ja, so ist es mir in die Ohren geflogen). Man muss dies nur gedanklich mit den rassistischen Sprüchen von echten Nazis gegenüber Migranten vergleichen und hat dieselbe Ausgangslage vor Augen, nur ideologisch gespiegelt. Eigentlich müsste ich mich kringeln vor Lachen, dass eine von jenen nun Bundessprecherin für die Grüne Jugend wird, fällt es mir gar schwer, ihrem ADHS-Slang folgen zu können.
Als Reaktion auf den Shitstorm, der natürlich nicht lange auf sich warten ließ und nicht minder unterirdisch ausfiel, wurde genau das zum Totschlagargument. Da wird behauptet, es gebe gar keinen Rassismus an Weißen. Man definiert also den Rassismus so, als würde er nur von Weißen betrieben werden können und Schwarze würden das nie tun wollen und können. Der große Zeus hätte darüber aber anders gedacht. Nein, nicht der Gott, sondern die Figur aus „Stirb langsam: Jetzt erst recht“, gespielt von Samuel L. Jackson. Dieser Zeus hat nämlich die Klappe gehalten und sich selbst hinterfragt, als er es mit der Anklage an Weiße übertrieben hatte und von John McClane dafür kritisiert wurde. Diese provozierte Konfrontation mit dem eigenen Verhalten hat zumindest im Film Wirkung gezeigt, in heutigen Zeiten krankt es schon daran, jemandem überhaupt die Erlaubnis zur Formulierung seiner Meinungen zuzugestehen.
Womit ich nun zur Differenzierung überleiten will.
Um nicht ganz unfair Frau Heinrich gegenüber zu erscheinen, nur um Teil einer beleidigten Empörungswelle zu sein, müsste man sie etwas besser kennen. Was hat die Frau in ihrer Jugend in der Gesellschaft durchgemacht? War ihre derbe Sprache nur Mitläuferrhetorik in einer Phase des jugendlichen Rebellismus? Wie ironisch-sarkastisch war ihr „Heil!“-Tweet zu verstehen? Das bleibt in der Debatte unerwähnt, und ich hätte mir auch gewünscht, dass man ihre Vorgeschichte kennen würde, was alleine dadurch, sie schnell in die Öffentlichkeit zu schubsen, konterkariert wurde. Man hat sie schnell unter dem Ist-Status, vor allem dem digitalen Fußabdruck, unter die Lupe genommen und findet mit ihren hasserfüllten Tweets schnell das Futter für die nächste Diskreditierungswelle. Die Grünen hätten sich weniger einen Bärendienst erwiesen, wenn sie behutsamer mit ihrem Personal umgegangen wären, allerdings erscheint es sinnlos, in Zeiten von Corona und vor allem Wahlkampf Gediegenheit und Weitsicht zu erwarten. Die Grünen, Woken und alle, die man diesem Lager zuordnen kann, fallen mir da zu schnell mit der Tür ins Haus und dominieren die öffentlichen Debatten mit ihrem unreflektierten Idealismus.
Genau hier liegt die Krux des Problems mit der Partei und ihren Fürstimmenden. Ihre Anliegen sind wahrlich wichtig, grundsätzlich und angebracht. Doch wird sie in ihrer stampfenden, unreflektierten und angreifenden Art und Weise nur einen Wippeneffekt erreichen, der das Spielplatzgerät, wenn angetrieben, hin und her schaukelt, bis die Physik es zum Stillstand bringt. Wenn wir da ständig nachschubsen, werden wir so lange hin und her wippen, bis wir keine Lust mehr haben und bemerken, dass wir keinen Meter weiter gekommen sind. Anklagende Rhetorik gegenüber der „ekligen, weißen Mehrheitsgesellschaft“ (ab ca. Minute 59) als Racheakt spaltet eben nur weiter als dem Endziel der Diversität und gleichberechtigten Welt näher zu kommen. Hier liegt für meine Begriffe der Knoten, der gelöst werden müsste, um die Gesellschaft grundlegend und gewinnbringend weiterzubringen.
So schwankten wir wie besoffen nur von einem Extrem zum anderen, als Beispiel etwa in der Debatte um (anti-)autoritäre Erziehung. Damals wurde die Kinder geprügelt, es war gar erlaubt. Dass man das nicht tut, steht außer Frage. Heute hat man dem entgegengesteuert, indem man die die antiautoritäre Erziehung etabliert, heute jedoch mit anderen Auswirkungen zu kämpfen hat. Heute reden wir über Narzissmus, Konfliktscheue und kumpelige Eltern. Wenn Eltern ihren Kindern die Macht überlassen, sehen wir Effekte wie heute überall sichtbar. Eine desillusionierte Generation emanzipiert sich nun von der Vergangenheit sowie dem Erziehungsmangel, denkt selbst und ohne vorher errichtetes Wertekonstrukt, ohne die Gabe der Reflektion und scheuklappenfreie Sicht auf ihre eigene Umwelt. Und so sehen wir nun eine dunkelhäutige, scheinbar traumatisierte Jungerwachsene, die ebenso getrieben ist wie die privilegierte Traditionalismusgesellschaft. Kumpeleltern sind dabei ähnlich zu beargwöhnen wie die Statuseltern, die für das eigene Image ihre Familienverhältnisse aufpolieren. Sie formen das Grundverhalten ihrer Kinder und nicht ausschließlich die Bevölkerung, der man das Kind irgendwann aussetzt. Die eigenen Kinder sind weder Freunde noch Trophäen, sondern Kinder.
Worauf ich letztlich hinaus will: es gibt keinen einseitigen Rassismus, es gibt keine Hetze, die nur von einer politischen Seite betrieben wird. Die Richtigstellerin im Facebook-Universum muss sich selbst mal hinterfragen, ob ihre Methode nicht auch als Hetze wahrgenommen werden könnte. Allerdings ist Hetze ein derart inflationärer Begriff geworden, dass es sich im politischen Diskurs durch die Ereignisse der letzten zehn Jahre etabliert hat, Hetze nur den Rechten zuzuschieben. Natürlich haben sie das getan, das soll nicht verharmlost werden. Aber hat sich in den Jahren auch die Gegenstimme dem angeglichen. Man kann das entweder akzeptieren und auf diesem Niveau weitermachen oder eben lieber ruhig sein und sich das nicht zu eigen machen.
Ich selbst bin da nicht zimperlich, aber im höchsten Maße angeekelt, wenn man das eigene Trauma auf die anderen schieben will und dabei verbal so ausschert. Wer in der Politik bestehen will, sollte die Programmatik im Fokus behalten und nicht das persönliche Trauma zum Politikum machen. Das ist genauso sinnlos wie meine eigene Geschichte, in der ich meine Erlebnisse auf die Gesellschaft abwälze, ohne meinen eigenen Anteil daran mit einzubeziehen.
Es ist eben eine verfickte Scheiße, dass das passiert ist, aber ich kann diese Flachwichser ja nicht loswerden, ohne mich zum Straftäter zu machen. Was wäre ich denn für ein Nazi und Unmensch, alle loswerden zu wollen, die mich arschgefickt haben? Ja, alle hässlich und eklig und soll doch die nächste Betonwand ihnen die Beine plattwalzen... (das nur ein trauriger Versuch, mir die Sprache anzueignen, die ich sowieso nicht verstehe)
Kommentar schreiben