Stilkritik ist angesagt dieser Tage, diesmal mit Jessy „Dolce Vita“ Wellmer, einer Nahtoderfahrung, und nun fällt die Wokeness sogar vom Himmel. Majestix hätte Luftsprünge gemacht, dass seine beständige Warnung endlich auf fruchtbaren Boden fiele, wahlweise auf Menschen im Stadion. König Fußball hat uns wieder, und mit ihm der Zeitgeist aller Irrigkeiten dieser Tage.
Dabei ist unsere Daueralarmsirene mit rheinischem Akzent wieder voll im Saft. Dat Karlschen in bestem Calmund-Singsang riecht Delta-Lunte und empört sich über Querdenkerfußballatmosphäre in Budapest. Orban wieder routinemäßig unter Beschuss, das dänische Pendant wird im Gegenzug weniger torpediert. Ein Sportevent gerät neben der Vermarktungswelle nun noch in die Mühlen politisierter Empörungswellen. Seit Greta ist wohl einigen Klimaaktivisten keine Aktion zu schäbig, was sogar die Presselandschaft zu Kritik nötigt. In der politisch unkorrekten Zone wurden schon Stimmen laut, dass sich die Moralhysterie ins Gegenteil verkehren würde – Beweis erbracht, Personenschaden inklusive. Fortsetzung folgt, höchstwahrscheinlich.
Mehr am Rande, aber nicht weniger moralisch, macht nun CR7 in Wasser. „Toll!“, denkt man sich als Naivling und schmeißt seine Softdrinksammlung aus dem Fenster. Wenn ihr nun noch schön brav dem Goldfüßchen auf Instagram folgt, bei Pokerstars mitmacht und euch Unilever-Chemiecocktails auf den Skalp schmiert (If you have dandruff, dann druff damit!), freut sich die Umwelt, die Gesundheit und natürlich das Seelenheil auf Cristianos Bankkonto. Das kommt euch Followern zugute. Ehrlich! Ganz wirklich ernst gemeint! Der Mann mit dem Kratzer im Betonpudel versteht es, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, da wird jede Spielanalyse zur Werbeunterbrechung.
Währenddessen geht das Fußballfieber um, verdrängt Corona-Symptome fließend, und schon werden aus achtzig Millionen Virologen achtzig Millionen Fußballexperten. Diese Woche, ich stehe da in einem Großraumbüro und höre ein bisschen mit, wie sich zwei Schreibtischnachbarn über die letzten Spiele unterhalten. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Chance, bei solchem Geplänkel nicht über schnöde Taktiken referiert wird, sehr gut stehen. Auch hier. Eine Frau in Leinenklamotten und mit Haarzopf versucht sich in fundiertem Soccer-Smalltalk und kommt über ein „die Mannschaft hat guten Fußball gespielt“ nicht hinaus. Das wirkte, als ob man Sebastian Vettel mit Sätzen wie „Ihr Fahrzeug hatte gute Räder“ beeindrucken möchte. Da ich solch schale Gespräche zuhauf hinter mir habe bzw Zeuge davon wurde, rege ich mich gar nicht mehr auf. Sinnlos.
Am Spielfeldrand rattert Jessy Wellmer jede kulturelle Aneignung über Italien herunter, daneben steht mal jemand anderes als Karl Lauterbach vor der Kamera und ist sichtlich verwirrt. Die Reaktionen darauf könnten unterschiedlicher nicht sein – links die Spiegel-Mutante, rechts das Welt-Delta. Der Gastexperte hat nun die Schweinigrippe, kommt mit seinen Hirnvenensymptomen nicht in die Rhetorikpötte. Ratlosigkeit macht sich breit. Ja, ganz ohne das C-Thema geht auch die EM nicht, aber man gibt sich Mühe und schwenkt fröhlich zu den früher üblichen Themen wie Klima, Selbstoptimierung und gezwungen wirkende Klugscheißersprüche hinüber. Manches davon könnte mir sowas von am Allerwertesten vorbeigehen, aber in dieser kurzen Zeit jeden dauerheruntergeleierten Mist wieder zu vernehmen ist mir einen genervten Kommentar doch wieder wert. Kleinlich, klar, aber als Smalltalk-Laie wird es schwierig, sich über das Wetter während des Spiels zu unterhalten. Das können die Beteiligten gerne tun, für mich ist das jedoch nichts.
Wo ich in der Sache stehe, stimmt mich dann wieder nachdenklich. Was war ich in meinen jungen Jahren doch für ein Fußball-Nerd gewesen. Eben so einer, der sich liebend gern die Spielanalysen angeschaut hatte, wo andere wegzappen. Oder im Stadion nicht nur auf den Ball schaute, sondern auch die Formationen unter die Lupe nahm. Ich nahm tatsächlich in meiner Selbsteinschätzung die Position jener ein, die sich für schlau hielten. Und heute? Mir geht dieser Zirkus nur noch auf den Zeiger. Der FC Bayern hat mittlerweile die Griffel in jedem zweiten Werbeprodukt – und ich fand die DFB-Nutella-Spots damals schon nervtötend. Die internationalen Turniere haben heute eher was von Wall Street-Geldschieberei denn von reiner Sportaktivität. Spätestens seit dem Sommerlügenmärchen habe ich mit dem bezahlten Fußball gebrochen. „Die Welt zu Gast bei Freunden“, propagierte damals das Nation Branding. Dabei hatten Beckenbauer und Co. wohl ein bisschen zu viel ABBA gehört: „Money, money, money [...] in a rich mans world.“. Und das hatte sich ausgerechnet der Spiegel fett auf die Fahnen geschrieben, Stichwort Football Leaks, heute würden sie sich jedem Teil- und Freizeitexperten an den Rockzipfel hängen.
Und abschließend noch ein trauriges Déja-Vu. Vor ca. 15 Jahren ging ich mit ein paar Arbeitskollegen zum wöchentlichen Fußballabend. Die Indoor-Location bot Platz für mehrere Hallenspielfelder, die man buchen konnte. In einer Gruppe von zehn bis fünfzehn Leuten konnte man dort anständig bolzen. Wir waren Menschen unterschiedlichster Couleur, von fit bis fett etwa, egal, Hauptsache Fun. Der fitteste unter uns, gerade mal vierzig und vielen Sportarten zugewandt, fiel eines Tages mitten im Spiel einfach zu Boden. Erst dachte ich, er hätte sich verletzt, aber innerhalb von Sekunden, mit Blick in sein Gesicht, dämmerte mir, dass das nicht normal war. Sofort versammelten wir uns um ihn, leisteten Erste Hilfe, minutenlang, Herzmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung, immer wieder. Dem Mann war nicht mehr zu helfen. Er war vor unseren Augen gestorben. Einfach so, von jetzt auf gleich.
Aus diesem Grund war der Eriksen-Vorfall für mich keine News wie jede andere. Es weckte Erinnerungen, die jetzt kein Trauma für mich bedeuten, die aber eine wesentliche Frage über das Leben aufgreifen: was bringt es uns, die Gesundheit über alles zu stellen? Das Leben ist voller Risiken, und selbst der sportlichste Mensch kann – wie nun zu beobachten war – schneller weg vom Fenster sein als jeder Raucher und Fettleibige auf Erden, der sich langsam zugrunde richtet. Das passt natürlich nicht in das Branding, dem solche Großevents zugrunde liegen. Niemand will Spieler auf dem Feld sterben sehen. Bei Eriksen ging es noch mal gut, da hätte auch die Debatte danach nicht so aus dem Ruder laufen müssen.
Das führt mich zwangsläufig zu Albert Einstein, der so einige, weise Zitate in die Welt gesetzt hatte. Etwa: "Wenn die Menschen nur über das sprächen, was sie begreifen, dann würde es sehr still auf der Welt sein." Wir leben in Zeiten des Unwissens, und das merkt man auch, wie laut es zugeht. Mit Formeln lässt sich das Leben sowieso nicht erklären, und da kann jeder noch so sehr warnende Hobbygesundheitsökonom, Superstar mit zwielichtiger Heldenattitüde, Greenpeace-Vollpfosten mit zu viel Höhenluft oder Moderatorinnen mit einer halben Pizza im Oberstübchen Moral verbreiten, wie man will. Die Formel für den Fußball ist jedenfalls nicht E=mc², selbst als es nachfolgende Generationen in Sphären brachte, die sich ein Kopernikus nie hätte träumen lassen.
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Cetzer (Samstag, 19 Juni 2021 21:42)
Dem unbekannten Fußballprofi:
Alle meine Kopfbälle vernarben das EEG
Synapsen in den Orkus, Gage in die Höh'!
Sascha (Sonntag, 20 Juni 2021 09:04)
@Cetzer
Kopfbälle verursachen Gehirnerschütterungen, deswegen ist Bolzen gefährlich. Kohle versüßt dann die Verblödung.
Glücksbärchy in Mordorland (Donnerstag, 24 Juni 2021 02:35)
Was guckt ihr auch solchen Scheiss? Hab diesen Klabauterbach noch nie gesehen, geschweige denn BockBaer (doch 1x bei Besuch irgendwo ohne Ton) oder diese Sparkassenschwuchtel.
Wer sein Leben von solchen Irren, Psychopathen und Profilneurotikern bestimmen lässt - oder Sie nicht nicht mal ignoriert- hat selber Schuld.
Sascha (Freitag, 25 Juni 2021 13:30)
@Glücksbärchi
Wenn wir alles ignorieren würden, was so an Mist abläuft, hätte man keine Texte zum Lesen, oder?