Sehr geehrte Mitspieler und Initiatoren der #allesdichtmachen-Aktion,
es war wohl für Sie alle eine Aktion, die denkwürdig bleiben wird. Für Sie und für uns. Ob es nun langfristig in die Köpfe der Menschen einsickern wird, oder nur ein Strohfeuer, das wird wohl nur die Zeit zeigen können. In der Nachbetrachtung, wenige Tage nach dem großen, medialen Aufschrei, möchte ich Ihnen allen ein paar Zeilen schreiben. So nüchtern es mir möglich ist, so sachlich wie nötig, aber auch so emotional wie angebracht. Es war ein Hauen und Stechen, das sich durch Facebook, Twitter und Co. seinen Weg bahnte, es war vielleicht ein unkalkulierbares Risiko, in das Sie da hineingeschlittert sind.
Ihrer sachbezogenen Kritik, die Sie in Ironie (viele meinten Zynismus) verpackt haben, hing schon – und da spreche ich stellvertretend aus gewisser Erfahrung – der Hauch von Shitstorm voraus, der mit Ihnen als bekannte Hauptakteure eine hohe Aufmerksamkeit zuteil werden würde. Es lässt sich schon im Voraus ausrechnen, wie stark die Empörung ausfallen würde, wenn man schon mittendrin ist in der Falle, sich als „rechts“, „rechtsoffen“ oder sonstwie staatsfeindlich titulieren lassen zu müssen. Vielleicht war Ihnen das nicht bewusst gewesen. Vielleicht haben Sie die Dynamik des Internets noch nicht in ihrer Größe erfassen können, weil Sie vielleicht in der Not Ihres Berufsstandes jetzt erst in der Lage sehen, die Einzelhändler, prekär Beschäftigte oder anders Betroffene schon seit mehreren Monaten erleiden müssen.
Vielleicht sind Sie ja tatsächlich so wenig betroffen, wie manche behaupten, die für ihre Arbeit bei den Öffentlich-Rechtlichen genügend verdienen, um nicht am Hungertuch zu nagen. Vielleicht, vielleicht, vielleicht – ich kann nur um Ihre Umstände mutmaßen und mich nur auf Ihre Aktion konzentrieren, auf die Reaktionen darauf, und auf das, was ich darin hinein interpretiere.
Zuerst sehe ich das Narrativ. Die Ironie interessiert mich darin weniger, sondern die Inhalte, die im Einzelnen in den Videos zu Wort kommen. Wie soll man weiterführend Menschenleben gegen die Selbstisolation gegenrechnen? Künstliches Koma gegen Existenzbedrohung? Oder Maske zum Schutz der Gesundheit gegen einen medialen Maulkorb?
Ist dann entscheidend, wer dafür applaudiert? Ist die Sachlage nicht entscheidend und nicht, von wem der Applaus kommt? Und ist es so wichtig, was dann die Wächter der Moral als angebracht halten, wenn es nicht einmal der realen Dimension einer scheinbaren Bedrohungslage entspricht? Es ist jedenfalls sehr deutlich zu erkennen, dass Applaus und Empörung keine Entscheidung eines jeden Einzelnen ist, die unabhängig von Ideologie formuliert würde. Kurz umrissen würde ich nicht lügen bei der Annahme, dass der Applaus sowieso von rechts käme, die Empörung von links. Es ist aber auch zu kurz gedacht, in diesen Mustern „gut“ und „schlecht“ zu sondieren, weil die politische Ideologie damit korreliere. Auf dieser Ebene zu diskutieren ist mir eigentlich zu blöd.
Es gibt immer noch sehr viele zwischen den Stühlen, wo ich mich ebenfalls sehe. Und die sind beim Äußern von Bedenken auf dem linken Auge wie von Geisterhand rechts, weil sie sich nicht deutlich links positionieren (hier ist Herrn Gläsers Video bildlich gesprochen sehr gut getroffen). Nun schiebt man Sie alle ebenfalls in dieselbe Ecke – hier wurde eine Behauptung umgehend zur Wahrheit. Deswegen erstaunt mich die partielle Naivität darüber, wenn sich einzelne Mitstreiter wieder zurückziehen. Nein, keine boshafte Enttäuschung will ich hier zum Ausdruck bringen, nur meine Verwunderung darüber. Es wäre unfair, Menschen für Gewissensentscheidungen, kurz- oder längerfristig getroffen, zu verurteilen. Ob das Gewissen nun über die Pietät des Todes beeinflusst ist, über die Krankheit, über den freiwilligen Verzicht vieler Leute, die andere schützen wollen, ist absolut nachvollziehbar. Oder zum Schutz des eigenen Lebens oder der Familie. Morddrohungen können also nicht nur Rechte.
Doch haben Sie auch richtigerweise darauf hingewiesen, was zu kurz kommt. Man beobachtet andere Länder und wundert sich - nein, ärgert sich. Wie sie mit der Pandemie umgehen, was beschlossen wird und zeitnah wieder abgeschwächt wird. Dass etwa Schweden auf positive Anreize setzen, auf Eigenverantwortung und nicht die böswillige Annahme, dass die Bürger sich dem widersetzen würden. Dass Angstszenarien aufgebaut werden, die nicht oder nur partiell eingetroffen sind. Die Katastrophe wurde verhindert, weil die Bürger nicht zu ihrem Glück geschlagen wurden, sondern weil sie sich kümmern wollen. Aber auch, dass sie sich auch die Auszeit nehmen, in bestimmten Situationen sich mal nicht kümmern wollen, weil es keine reale Gefahr bedeutet. Und dann angezeigt und mit Bußgelder belegt werden. Finde den Fehler.
In Schweden, auch der Schweiz, funkioniert das besser, unaufgeregter. In Italien wird ständig nachgebessert, neu bewertet. Es klingt ganz anders als das Starren auf Inzidenzen wie auf die Lottozahlen. Und die deutsche Politik scheint nur noch einen Weg aus der Pandemie zu kennen: noch strikter, noch vorsichtiger, noch mehr Verzicht. Und die scheinbare Absicht, uns von ihrer Überzeugung überzeugen zu können, ja, müssen. Und dass jeder, der den Weg nicht mitgeht, zum „Leugner“ etikettiert wird. Aus ihnen einen unsolidarischen Menschen zu machen, eine Persona Non Grata, einen Menschen, der einen ähnlichen sozialen Status verdiene wie ein Serienmörder.
Ich und meinesgleichen kennen die Gefahren des Virus. Wir kennen aber auch die Studien, die dem Vorhaben über einen Bundeslockdown in die Quere kommen würden. Die Aerosolforscher, die uns sagen, dass es draußen viel weniger gefährlich ist als drinnen. Dass rezirkulierende Klimaanlagen drinnen bei längerem Aufenthalt die Ansteckung begünstigen. Dass im Grunde die Ausbreitung von Covid-19 dieselbe Dynamik nutzt wie die Grippe. Dass Virenlast und stehende Luft eine Gefahr sind. Jeder könnte, nein, müsste das wissen. Jeder könnte, nein, müsste für sich selbst einschätzen können, wo es gefährlich wird und wo nicht, wenn er die Informationen wenigstens erhalten und nicht von Facebook oder Youtube gelöscht würde. Als ob die Cyberwachen in den Konzernbüros selbst wüssten, was richtig und falsch ist, aber auffallend oft angeblich rechte Narrative sperren oder gleich löschen und linksliberale und regierungsaffine Positionen gewähren lassen, egal ob richtig oder falsch.
Scheinbar ist dieses Wissen verkümmert. Oder nicht vorhanden gewesen. Eigentlich ist dies das Erschreckende dabei. Dass die Lebenserfahrung verkümmert, dass man das Risiko nicht nur scheut, sondern gar nicht sehen will. Dass man lieber sein Wissen outsourct, auf die Google-Suche parkt und bei Bedarf abruft, aber auch sogleich wieder vergisst, sobald es nicht mehr relevant ist. Und dass das Leben und Überleben kein Durchmarsch ist, dem kein Virus, keine Verletzung, absolut nichts im Wege stehen darf. Und die Politik macht sich dieses Unwissen, diese Naivität zunutze. In diesem Punkt unterstelle ich ihr das Kalkül mit der leicht zu triggernden Angst. Denn wer informiert ist, Lebenserfahrung besitzt, hat naturgemäß weniger Angst – nicht wahr, Herr Bruch? Doch wenn die Informationen in den großen Medien nur die Angst bedienen, wird sie auch schnell aktiviert – nicht wahr, Herr Liefers? Und wer aus dieser Angst heraus auf jeden Abweichler mit dem Finger zeigt, fühlt sich mächtig, das Richtige getan zu haben – nicht wahr, Frau Dubois?
Ich kann mir prinzipiell aus jeder Aussage der einzelnen Videos genau das herausziehen, was ich auch selbst in der Öffentlichkeit kommuniziere, in Kommentarspalten oder unter Bekannten. Und wenn Gegenrede kommt, dann oft in dieser Empörung, die schmerzt; ähnlich derer, wie Sie alle nun erfahren haben. Ja, auch mir sind schon derbe Sprüche eingefallen, die man vielleicht als zynisch erachten würde. Einfach als Reaktion auf die Diffamierungen, die Kritiker erfahren mussten. Und deswegen sind Ihre Überspitzungen tatsächlich etwas wert. Sie wirken, das sieht man nun sehr klar. Ich als kleines Licht hätte das nie bewirken können, genauso wie die vielen Blogseiten, die Meinungen vertreten und von Schatten im Internet schon vorverurteilt werden.
Und ich adressiere eine deutliche Kritik an jene, die schon im Frühling letzten Jahres alles unternommen haben, diejenigen auszusondern, die sich gegen Maßnahmen, gegen die ängstlich aufgebaute Bedrohungslage des Virus als Menschheitsvernichter, stellen. Ich mache dabei keinen Unterschied zwischen dem bürgerlichen Laien, der sich das Wissen erst noch mühsam aneignen muss, oder den renommierten Wissenschaftlern, die quasi auf Knopfdruck vom gefeierten Preisträger zum „Schwurbler“ umfunktioniert wurden, während andere, wenige zu Entscheidern erhoben werden, wenn Sie Politikern in den Kram passen.
Ich will nicht behaupten, dass ich vieles besser wüsste. Es gibt jedoch viele Punkte, die zweideutig sind, und ich sehe mich in der Lage, dies zu erkennen, Logik und Blödsinn zu ordnen und dafür/dagegen zu streiten. Und doch werden wir von den Medien und der Politik mit einer angeblich alternativlosen Einbahnstraßenpolitik drangsaliert. Was ist mit Schweden? Angeblich ist der skandinavische Staat mit seiner Maßnahmenpolitik gescheitert, und doch haben sie im Verhältnis keine schlechteren Infektionszahlen als wir. Wenn die Datenlage gegen dieses Narrativ spielt, wird es hierzulande gar nicht erwähnt. Es scheinen nur die Negativbeispiele herhalten zu dürfen, um unsere Lage künstlich zu verschärfen. Dabei würde nach deutscher Modellierung Schweden im Chaos versinken, in Stockholm oder Göteborg hätte das exponentielle Wachstum die halbe Bevölkerung dahingerafft. Es war ironischerweise nur eine Theorie, auf der basierend reale Politik beschlossen wurde, bis hin zu einem Gesetz, das einem nationalen Skandal gleicht.
Es könnten noch viele weitere Punkte aufgeführt werden. Das würde allerdings den Rahmen sprengen. Ich möchte hiermit nur meine Einschätzung mit den vielen Einzelpunkten, die Sie transportiert haben, auf den Tisch legen – als Mutmacher, als Bestätigung. Wir reden zu wenig miteinander, mit ein paar mühsam eingetippten und -geswipten Sätzen, mit unseren Meinungsgegnern, sogar mit jenen, deren Meinung wir teilen. Wir kämpfen alle gegen irgendwelche Absolutheiten an, gefühlt wie tatsächlich. Ob wir nun das Virus als Bedrohung sehen oder die Maßnahmen, und gleichzeitig das andere verharmlosen, ist eine individuelle Sache. Was nicht passt, ist die offizielle Einordnung von gut und schlecht, Sagbarem und Tabu. Sie haben das, ob davon persönlich überzeugt oder nicht, wenigstens auf dieser Ebene ergebnisoffener machen können. Vielleicht formell drastisch und anstößig, schmerzhaft für die Lockdown-Befürworter. Aber war bisher die umgekehrte Empörung darüber, wenn ausgesprochen, nicht auch schmerzhaft? Darf der Schmerz nur von den Zero-/NoCovid-Befürwortern zugefügt werden und sollten sogenannte „Querdenker“ nur einstecken dürfen?
Das Zünglein an der Waage ist wieder das Narrativ von „rechts“. Der tatsächlich richtige, wichtige Kampf gegen den Rechtsruck hat sich bei den Bekämpfern derart verschoben, dass man vergessen hat, „konservativ“ und „liberal“, ja sogar bestimmte linke Positionen unangetastet zu lassen, weil es prinzipiell nicht antidemokratisch ist. Man hat zu vieles für sich selbst als „rechts“ markiert. Und wenn nicht rechts, dann rückständig. Und selbst hierin führen wir nun heftige Debatten, teils über Kleinigkeiten, die man immer häufiger nicht mehr nachvollziehen kann. Es müsste uns nicht kümmern, wenn sie nicht derart missionarisch, offensiv gezeichnet würden. Es gibt wichtigeres als zu Gendern, eine Frauenquote einzufordern oder uns an Inzidenzen aufzureiben. Dieser Hang zu Restriktionen, zu Ausrottungsfantasien, wo kaum bis gar nicht durchsetzbar, kommt oft von links-grün-liberal, hat die Kultur der Debatten verändert, verschärft und abstrahiert.
Vielleicht war Ihnen das nicht bewusst. Ich möchte nur den Denkanstoß formulieren, Ihnen Zuspruch geben, dass Sie da hineingestochen haben, wo es nötig war. Ich hoffe, Sie konnten im breiten Raum viel bewegen, und wenn Sie sich die Reaktionen in den Medien durchlesen, werden Sie nicht nur Empörung lesen. Es war ein wichtiger Schritt, es hat gewirkt, und dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Die AfD kann mich mal, auch jeder, der Science Fiction mit der Realität verwechselt. Nein, der Applaus kommt nicht nur von rechts, sondern auch teils von links, von enttäuschten Grünen, von Bürgern aus der Mitte, die wahrscheinlich in der großen Mehrheit vertreten sind und sich bisher nicht zur Wortmeldung in dieser vergifteten Atmosphäre getraut haben.
So wie ich, was ich hiermit tue.
Bleiben Sie gesund und unterstützen Sie weiter den Kampf für einen großen, breiten Debattenraum!
Mit freundlichen Grüßen,
Sascha Wuttke
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Christina (Mittwoch, 07 Juli 2021 09:58)
Bravo!
Und danke