Der kleine Kevin hat aber mal wieder einen vom Leder gelassen, nicht wahr? Was er da spricht, geht auf keine Kuhhaut. Der soll doch mal die Lappen halten, hat keine Ahnung, keine Lebenserfahrung, bla, bla, bla...
Nachdem SPD-Juso Kühnert zur besten Wahlzeit das linke Gewissen in der SPD hat aufleben lassen, ist Deutschland wieder in heller Aufregung. Mit seinen Aussagen über „Enteignung“ und „Kollektivierung“ hat er dem Kapitalismus ordentlich ans Bein gepinkelt, was zur Folge hat, dass wir uns wieder mit Schlagworten wie „Kommunismus“ herumschlagen müssen. Es ist mittlerweile oft zu beobachten, dass die Wirtschaft bei aufkeimender Grundsatzkritik gerne die Angstkeule schwingt und die Flucht nach vorne antritt.
Dass die Reaktionen so heftig ausfielen, ist für mich nur der verzweifelte Versuch und zugleich Beweis für eine öffentliche Nennung einer Situation, denen sich die Betroffenen zu entwinden versuchen. Bestes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: VW. Anstatt die Wahrheit zu akzeptieren und Reue zu zeigen, wurde in aggressivster Weise gegengesteuert und lange am Status Quo festgehalten, man drohte mit einer Massenentlassungswelle und verteidigte den Diesel bis auf´s Blut. Da rieb man sich verwundert die Augen, als plötzlich in genau derselben aggressiven Weise auf E-Auto umgeschwenkt wurde – eine reine Trotzreaktion.
Kühnert ging einen Schritt weiter und weitete die Debatte auf die gesamte Wirtschaftsstruktur aus. „Enteignung“, „Kollektivierung“ - da wurden Worte gewählt, die selbst die Szene der „alternativen Medien“ mit hoch gezogener Augenbraue zur Kenntnis nahmen. Diese Worte sind ohne Kontext des Interviews etwas zu schwer in den Mittelpunkt gerückt, haben jedoch die Debatte in vielerlei Richtungen gewendet. Klar war, dass die Konservativen davon nichts hören wollten (gelinde ausgedrückt). Nicht ganz so klar war jedoch, dass Kühnert auch etwas mehr Zuspruch erfahren durfte als in der Vergangenheit. Als er sich noch als #NoGroKo-Sprachrohr das erste Mal stark in die öffentliche Wahrnehmung manövrierte, wurde die Schwarz-Rot-Koalition noch als alternativlos beschrieben. Doch hatte er damit einen Nerv getroffen, der in der Gesellschaft schon länger Panikzucken hervorrief. GroKo – eine Unwortkreation und Trigger der angeschlagenen Seele des deutschen Lebensstandards.
Kühnert kann man schon als die Greta Thunberg der Sozialdemokratie und das schlechte Gewissen „Ewiggestriger“ und alter Herrengarden verstehen. Heftige Gegenreaktionen sind bei seinen Vorstößen in der Regel von der Kaste, bestehend aus CDU/CSU, FDP und neuerdings der AfD, zu erwarten. Für sie erscheinen solche Positionen so weit links verortet, dass Kritik schnell persönlich wird. Verunglimpfte CSU-Autolobby-Hofnarr Andreas Scheuer ihn doch sogleich als „verirrten Fantasten“. Gleichzeitig legte sein Vorstoß das offen, was in der Parteienlandschaft in unserem geistigen Navigationssystem von der Straße abgekommen ist – selbst Grüne und Teile der eigenen Partei nehmen Abstand von den Positionen, die man als Wähler eigentlich mal von Arbeiter- und Naturschutzparteien erwartet hatte.
Somit wurde Kühnert zur Galionsfigur, die die Werteverschiebungen innerhalb seines hauseigenen Parteiapparates schamlos darstellt. Die alte Garde und deren ideologische Nachfolger in der SPD hat sich faktisch an die CDU verkauft. Jeder weiß das. Doch scheint es in den Parteispitzen immer noch nicht angekommen zu sein, denn wird dort zwar mit Phrasen um sich geworfen, die die alten Wähler aus ihrer Verweigerungshaltung locken sollen, wirkt es wie eine Scheinreue eines pathologischen Lügners. Tief drinnen ist man von seinen Ansichten und Wesenszügen immer noch überzeugt, etwa beim jämmerlichen Versuch, sich von der Agenda 2010 zu distanzieren. Kühnert hingegen hat mit seinen Thesen die Ideologie durch seine Nadelstiche in das verkümmerte Bewusstsein seiner eigenen Genossen gestärkt. Da ist es traurig, Zeuge sein zu müssen, wie die Parteioberen Kühnert zum Denunzianten abstempeln.
Die Debatte ist auch ein Paradebeispiel für den normalen Generationenkonflikt in einer Gesellschaft. Kühnert, der Aspirant, der Lehrling, solle doch mal bitte erst von den Alten lernen, wie das Geschäft funktioniert. Aber nein! Der Junge wurde aufmüpfig. Geht gar nicht!
Ich sehe da eine etwas andere Situation, auch wenn ich vielleicht zu weit entfernt bin von den Interna im alltäglichen Parteibetrieb. Es scheint, als wäre Kühnert in den Grundwerten geschult worden und würde sich nun erdreisten, diese nun auch öffentlich auszusprechen, während die Altgedienten, ausgemergelt von der Realität politischen Entscheidungszwanges und desillusioniert von erschreckenden Erkenntnissen im Machtapparat Deutschlands, ihre einstigen Werte ablegen mussten, um überhaupt noch auf der politischen Bühne Beachtung zu finden. Karrieristen in der Wirtschaft müssen ebenfalls nach diesem Prinzip agieren, und da ist Kritik zu äußern fast nie hilfreich. So erstickt man höchstens Überzeugungen im Kern, verheizt Talente und gräbt sich weiterführend das eigene Wasser ab.
So steht auch das Fundament der SPD auf trockener Erde, was sich im Schwund der Wählerstimmen sehr gut abbilden lässt. Der Führungsriege schien noch nicht bewusst geworden zu sein, dass man sich lieber nicht an den Feind verrät. Das hat sie die Hälfte der Stimmen gekostet, man klammert sich letztlich noch an die Regierungsverantwortung und schlingert sich durch. So klingen die Rechtfertigungsversuche wie Durchhalteparolen und verträumtes Warten auf bessere Zeiten, doch kennt man das auch von der CDU genauso. In der politischen Mitte ist ein Klumpen entstanden aus Konsens und Schnittmengenwirrwarr, da klingen Thesen wie die von Kühnert natürlich wie blanker Hohn.
Dabei hat es einen widersprüchlichen Beigeschmack, dass ein Jung-Sozi die alten Werte predigen muss, der vom Volk gewünscht ist, während die Alten in ihrer Flexibilität ersticken. War da nicht was gewesen, wie es hätte sein sollen? Mit dieser Kühnheit ist der Name wahrlich Programm, und es wirft ein schlechtes Licht auf ein bestehendes System, das Werte negiert und die Defizite in unserer Wirtschaftsstruktur gnadenlos offenlegt. Und wer sich darüber mokiert, wurde als Profiteur dieser Struktur enttarnt.
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