Es heißt, das Kino hätte sich zu seinem Nachteil verändert. Wie auch andere Medienformen wird viel darüber diskutiert, warum sich Filme in politischer Hinsicht nicht mehr äußern würden und die Proteste in seltenen Fällen auf Premierenfeiern beschränkt. So posaunte etwa Vicco Mortensen auf einer „Herr der Ringe“-Premierenfeier Antikriegstiraden ins Publikum und erntete dafür seltsame Blicke. Kritische Stimmen würden entweder ungehört verhallen oder gar nicht erst untergebracht werden, Studios machen auf unbeteiligt und schieben Verantwortung auf die ab, die Kritik äußern. Kurzum: Kino würde wie aktuelle Popmusik nur noch Belanglosigkeiten thematisieren.
Doch stimmt das so überhaupt? Was die Popmusik betrifft, ist das schon deutlich geschehen. Viele Songs, die sich wacker in den Top 100 halten, sind thematisch so interessant wie Kaffee-und-Kuchen-Nachmittage oder die Instagram-Story vom sechszehnjährigen Teenie, der seine wöchentliche Partynacht feiert wie andere ihren runden Geburtstag. Im Grunde sind es persönliche Themen, die – wenn überhaupt – lyrisch verarbeitet werden und dabei klingen wie eilig zusammengeschustert. Wenn sie Glück haben, landen sie sogar als Hintergrundbeschallung für einzelne Szenen in einem noch belangloserem Film, der die emotionale Schiene fährt und dazu einen Soundtrack braucht, das entsprechend zu untermauern.
Im Kinoprogramm dominieren momentan ebenfalls bestimmte Genres das Geschehen, und es vergeht kaum eine Woche, in der es mal keinen Superheldenfilm zu sehen gibt. Nun lässt es sich nicht vermeiden, die Filme auf das zu reduzieren, was sie so besonders macht – mit Superkräften zu Werke gehen, stramm choreografierte Kampfszenen, teure Effekte und markige Posen sind mitunter die Hautpfeiler, die die Fans sehen wollen. Nun beschleicht sich mir jedoch das Gefühl, dass dies, und nur dies, ausreichte, um die Zuschauer bespaßen zu können. Das würde ich selbst sogar bestätigen, wenn es nichts zwischen den Zeilen zu lesen gäbe und die Sache mit der Moral in der Geschichte ähnlich wie in der Popmusik einfach nicht mehr vorkäme.
Dem ist aber nicht so. Es hat sich leider so eingeschlichen, dass in der Popkultur des Kinos wichtige Themen lediglich als Beiläufiges hinzuaddiert wurde und die Effektshow das Sagen hat, bei den Machern wie auch bei den Filmeguckern. Oder haben Sie schon mal einen Zuschauer über die Aussagen des Films reden hören, wenn sie gemeinsam aus der Location heraustreten auf dem Weg nach Hause? Es ist davon auszugehen, dass sie, überwältigt von CGI und hämmerndem Sound, in der Qualität der Explosionen schwelgen und die Coolness der Kampfeinlagen loben. Kaum jemand redet darüber, wie toll sich Captain America für den Frieden auf der Welt eingesetzt hat oder wie viel Wahrheitsgehalt in den Aussagen der Antagonisten von „Die Unglaublichen“ steckt.
Wobei wir nun beim Kernthema wären. Es lässt sich auch beobachten, wie deutlich Gut und Böse voneinander abgegrenzt sind, wenn es unter anderem um Motivationen und Kernaussagen geht. Kriegstreiberische Planspiele werden etwa „Hydra“ zugerechnet (der geheimen Splittergruppe der Nazis), und der „Screenslaver“ verhöhnt sogar die Kinogänger direkt mit einem Monolog über Mediennutzung und Konsum. Nun ist es ein Leichtes, den Bösewichten solche Taten und Aussagen in den Mund zu legen, um sich davon distanzieren zu können. Ein Bösewicht gehört besiegt, und dessen Ideologie ebenso, so der oberflächliche Tenor. Doch beschleicht sich mir der Eindruck, dass es auch reflektierend wirkt, selbst wenn das Böse eine Meinung vertritt, die nicht politisch korrekt oder moralisch sauber erscheint.
Was veranlasst mich zu so einer Aussage?
Der „Screenslaver“ startet einen Monolog, nachdem Elastigirl sein Signal mit einer Apparatur abfangen kann und somit seinen Standort verrät. Sie klettert über die Dächer der Großstadt, während der Feind im Off seine Motive offenbart:
„[...] ...und Ihr sitzt rum, esst Chips und sehr ihr (Elastigirl – Anm. d. Autors) dabei zu, wie sie die Probleme bekämpft, für die Ihr zu faul seid. Superhelden sind Bestandteil eures hirnlosen Wunsches, echte Erfahrungen durch Simulationen zu ersetzen. Ihr redet nicht miteinander, Ihr seht Talkshows. Ihr spielt nicht mehr, Ihr seht Gameshows. Reisen, Beziehungen, Risiko – jede tiefgehende Erfahrung soll bequem und aus sicherer Entfernung konsumierbar sein, damit Ihr weiter vor Euch hin vegetieren könnt; als träge, behütete und gierige Verbraucher, die ihren Hintern nicht vom Sofa hochkriegen und sich vor jeder Anstrengung im echten Leben drücken. Ihr wollt, dass Superhelden Euch beschützen und werdet dadurch umso abhängiger und machtloser. Ihr redet Euch ein, dass es zu Eurem eigenen Wohl sei, dass Eure Rechte so gewahrt würden – dabei lasst Ihr Euch vom System an der Nase herumführen und macht gute Miene zum bösen Spiel. [...]“
Nun ist es ein Einfaches, diesen Monolog als Hirngespinst abzutun und es dem Antagonisten hinzuschieben. Der moralische Sieger steht sowieso schon fest, weil Drehbuch und Macher die Identifikationsfiguren als Gegner solcher Anschuldigungen erkoren hat und sie in ihrer Lesart den Zuschauer frontal angreifen. Die erste Reaktion wird natürlich nicht sein: „Oh, das ist mir gar nicht aufgefallen, dann werde ich gleich mal meinen Hintern vom Sofa hieven.“, sondern wird man eine Schuld bzw. Selbstreflexion von sich weisen und eher mit Trotz reagieren. Wahrscheinlich muss sich ein Teil der Zuseher auch nicht angesprochen fühlen, da sie tatsächlich ein ereignisreiches Leben führen.
Probleme, die man vor vielen Jahren so noch nicht kannte. Das Böse zu Zeiten von „Superman“ war anno 1978 kein Thema gewesen, ohne Internet, Handys und keinem Overkill an Heimkinoequipment, was uns an die Couch fesselt oder effektiv voneinander spalten würde. Ein Lex Luthor hätte höchstwahrscheinlich Verwirrung gestiftet, hätte er seine Motivationen in diese Richtung gelenkt und wäre von uns nicht ernst genommen worden. Der „Screenslaver“ hingegen ist quasi ein geistiges Produkt des digitalen Zeitalters, etwa der radioaktive Abfall, den man nicht leugnen und ohne Konsequenzen klammheimlich entsorgen kann. Ich finde, dass man dem Monolog sehr viel Bedeutung beigemessen hat, vor allem in der Machart. Die Szene ist nämlich die einzige, in der die Hintergrundgeräusche sowie die Musik leiser gedreht wurden. Es ist ein Spannungsmoment, der ungewöhnlich für die sonstige Buntheit und die Dynamik des Films heraussticht.
Wahrscheinlich werden einige Zuschauer die Szene eher beiläufig zur Kenntnis nehmen, weil sie lieber krachige Szenen sehen möchten. Doch ist man bei Pixar in dem Punkt ein wenig an der falschen Adresse gelandet. Das Studio hat schon des Öfteren kritische Untertöne untergebracht, bei „Wall-E“ sogar zum Hauptstrang der Geschichte konstruiert und gar die menschliche Bequemlichkeit auf der „Axiom“ deutlich visualisiert. Für die „Die Unglaublichen“-Story ist demnach der „Screenslaver“ ebenfalls ein Element, das eine gewisse Bedeutung inne hat. Auch in seiner fantastischen Auslegung wird hier etwas thematisiert, das schon im realen Leben die Medien und Bürger immer mehr beschäftigt. Pixar macht aus Kontroversen Satire und scheut sich dabei nicht, leise Töne anzuschlagen und dabei eine Moral zu setzen. So auch bei der besagten Sequenz, die die Heldin in ihrer Präsenz beschneidet und dem Antagonisten die Bühne bietet – wie gesagt: mit Tonanpassungen. Mir schnitten sich die Worte sofort ins Gehirn, und hätte ich im Kino Einfluss darauf gehabt, die Szene nochmal abzuspielen, hätte ich einen Notizblock gezückt und sie sofort aufgeschrieben.
So musste ich warten, bis die Blauscheiben im Regal standen und konnte nun mein Vorhaben endlich nachholen. „Screenslavers“ Monolog hat bis dahin nichts von seiner Sprengkraft verloren. Manchmal verliert die Bedeutung einer Erkenntnis doch ihre Wirkung, hier ist das nicht der Fall. Die Worte sind gewagt, sie sind mutig. Und: die Aussagen bestätigen das, was ich schon seit Jahren selbst behaupte. Ich hatte sehr viel mit Widerstand zu kämpfen, doch letztlich passiert es oft, dass die Diskussionen erst Jahre später ins öffentliche Bewusstsein getragen werden, wo es vorher noch vehement geleugnet worden war.
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